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BUDDHISMUS HEUTE
Aus: Buddhismus Heute Nr. 53, (Herbst 2013)

Kraftfelder im Netzwerk des Universums

Eva Seegers

Stupas werden in Asien seit über 2000 Jahren gebaut und zählen somit zu den ältesten und wohl auch faszinierendsten Architekturformen des Buddhismus. Im tibetischen Kulturraum ergeben ihre perfekte Form, der genau vorgegebene Inhalt, die damit verbundenen Rituale, und ihre vielschichtige, symbolische Bedeutung ein perfektes, dreidimensionales Mandala (Kraftfeld).1 Diese exotischen Bauwerke sind im europäischen Kulturkreis nicht besonders bekannt, obwohl sie sich bei europäischen Buddhisten in jüngster Zeit großer Beliebtheit erfreuen. Als vor dreißig Jahren die ersten Stupas von Vertretern der Karma-Kagyü-Linie des Tibetischen Buddhismus in Europa errichtet wurden, begann eine spannende Ära des modernen Stupa-Baus, die bis heute anhält.

"Der" oder "die" Stupa?
"
Stupa" ist ein altes Wort aus dem Sanskrit*. Da in der deutschen Sprache jedes Wort auch einen Artikel braucht, muss für "Stupa" ein passender Artikel gefunden werden. Sanskritologen erklären, dass es "der Stupa" heißen müsse, weil Sanskrit- Wörter auf "a" männlich sind. Trotzdem wird oft "die Stupa" gesagt, da das deutsch-lateinische Sprachgefühl Wörter auf "a" als weiblich erkennt. Weil man sich in der Vergangenheit beim Import von Fremdwörtern nicht unbedingt nach dem  Artikel der Ursprungssprache gerichtet hat, ist es sicher auch möglich, umgangssprachlich die weibliche Form zu verwenden. Die akademisch-korrekte Bezeichnung ist jedoch "der Stupa", weswegen es auch hier so verwendet wird. 


Die Insider- und Outsider-Sichtweisen

Die vielfältigen Aspekte des Buddhismus, darunter auch seine Kunst und Architektur, lassen sich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. In der Anthropologie und anderen Wissenschaften unterscheidet man zwischen dem Beobachter von außerhalb einer bestimmten Kultur (engl. etic bzw. outsider perspective) – zum Beispiel dem Forscher, der ein buddhistisches Thema untersucht - und dem Beobachter innerhalb der Kultur (engl. emic bzw. insider perspective), in diesem Fall also einem praktizierenden Buddhisten. Geprägt wurden die Begriffe 'etic' und 'emic' 1954 von dem Linguisten Kenneth L. Pike. Er empfahl, dass diese Methoden, die er zunächst für die Beschreibung sprachlichen Verhaltens entwickelt hatte, auch für die Beschreibung jeder Art menschlichen Sozialverhaltens adaptiert werden könnten.

Der Insider hat den großen Vorteil, das Thema direkt von seinem buddhistischen Lehrer erklärt zu bekommen. Auch durch die Mithilfe bei einem Stupa-Bauprojekt kann er rasch sehr viel praktische Erfahrung sammeln. Ein Nachteil könnte sein, dass er seine Aufgaben womöglich nicht wirklich versteht und einfach ausführt, weil er es so gesagt bekommt. Hat er keinen guten Lehrer, können sich leicht Ungenauigkeiten und Fehler einschleichen.



Der Outsider kann ein Politiker, Journalist oder Anrainer sein, der unmittelbar mit einem Stupa-Projekt in seiner Stadt konfrontiert wird. Als Nicht-Buddhist ist es oftmals schwer zu verstehen, was ein Stupa ist und warum er gerade hier gebaut werden soll, so dass es zu Missverständnissen kommen kann. Die sind zwar nicht immer vermeidbar, da die kulturellen Unterschiede oftmals sehr groß sind, aber eine gute Aufklärung kann viele Prozesse harmonisch ablaufen lassen bzw. Projekte erst ermöglichen.

Der Outsider kann auch ein Wissenschaftler sein, der sich mit dem Thema Stupas beschäftigt. Die Erforschung der Stupas ist sehr vielfältig und setzt sich aus vielen verschiedenen Fachdisziplinen zusammen (interdisziplinäre Forschung): Kunsthistoriker analysieren die unterschiedlichen Baustile; Bauforscher und Archäologen untersuchen die Überreste der alten Stupas im Himalaya und ziehen so Rückschlüsse auf ihre Ursprünge. Ein Tibetologe kann beispielsweise tibetische Texte übersetzen, die von der Füllung von Stupas und Statuen handeln. Ein Religionswissenschaftler kann im Rahmen der buddhistischen Religion die Übertragung der Stupas nach Europa untersuchen und die Chancen und Risiken bewerten, die entstehen, wenn sich eine traditionelle asiatische Bauform in einem neuen kulturellen Umfeld wiederfindet.

In jüngster Zeit sind Buddhisten, also Insider, ausgehend von Amerika auch vermehrt an westlichen Universitäten tätig und somit trainiert, die Outsider-Position einzunehmen. In so einem Fall verbinden sich in einer Person beide Sichtweisen. Wenn man diese unterschiedlichen Perspektiven klar voneinander unterscheidet und sie als Werkzeuge betrachtet – die man je nach Bedarf und im richtigen Zusammenhang aus dem Werkzeugkasten nimmt – können sie sich gegenseitig unterstützen und zu einem besseren Verständnis des jeweiligen Gegenstands beitragen. All diese Informationen können auch für praktizierende Buddhisten hilfreich sein. Andersherum können  die praktischen Erfahrungen der Buddhisten dem Outsider helfen, Inhalte besser zu verstehen.



Stupas im Westen

Wie kommt es nun dazu, dass wir Stupas mittlerweile auch in Europa finden? Traditionell werden Stupas da gebaut, wo Buddhisten leben und praktizieren. So ist es seit etwa zwei Jahrtausenden in Asien, und seit der Buddhismus in Europa angekommen ist, werden Stupas auch in diesem Teil der Welt errichtet. In Kalmykien, das im europäischen Teil Russlands liegt, wurden schon sehr früh erste Stupas von Anhängern des Tibetischen Buddhismus errichtet. Die Kalmyken, früher Oiraten genannt, sind mongolische Nomaden, die ab dem 17. Jahrhundert in das Gebiet südlich der Wolga einwanderten.2
 Als sie später sesshaft wurden und ihre Khuruls (Klöster) errichteten, kam es auch zum Bau von Stupas, die jedoch zur Zeit Stalins fast vollständig zerstört wurden. Seit den späten 1980er Jahren ist Religionsausübung in Kalmykien wieder erlaubt. Seitdem wurden viele tibetisch-mongolische Klöster und Stupas neu gebaut, unter anderem ein Erleuchtungs-Stupa in der Hauptstadt Elista, der 1999 auf Initiative von Lama Ole Nydahl errichtet wurde.

Unabhängig von den Ereignissen in Kalmykien kamen die akademischen Zirkel Europas Anfang des 19. Jahrhunderts erstmals mit dem Buddhismus in direkten Kontakt. Der Pali-Kanon wurde übersetzt und studiert, vereinzelte Gelehrte wurden Mönche der Theravada-Tradition. Ab den 1960er Jahren wurde der Buddhismus auch vermehrt praktiziert, führend waren hier diverse Zen-Schulen. Als in den frühen 1970er  Jahren der 16. Gyalwa Karmapa Rigpe Dorje (1924 - 1981) nach Europa und in die USA reiste, öffnete er die Türen für die Karma-Kagyü-Schule des Tibetischen Buddhismus. Von da an stieg die Anzahl seiner Schüler im Westen stetig. Unter seiner Schirmherrschaft wurden europaweit und in den USA buddhistische Zentren gegründet, die sich im Laufe der Zeit zu verschiedenen Organisationen entwickelten.3
 1976 wurde der erste von seinen Schülern im Westen erbaute Stupa vom 16. Karmapa persönlich eingeweiht. Dieser Erleuchtung-Stupa steht heute noch – frisch renoviert – in Huelo auf der Insel Maui in Hawaii.

In Europa wurden im Rahmen der Kagyü-Schule die ersten tibetischen Stupas von den Meistern Kalu Rinpoche (1905 - 1989) und Tenga Rinpoche (1932 - 2012) betreut und eingeweiht. In Frankreich weihte Kalu Rinpoche im Jahr 1980 den ersten begehbaren Erleuchtungs-Stupa ein. Er steht auf dem Gelände von Dashang Kagyü Ling in Château de Plaige. Nur vier Jahre später betreute Tenga Rinpoche auf Einladung von Hannah und Lama Ole Nydahl den ersten Stupa für die Diamantweg-Zentren in einem kleinen dänischen Retreat-Zentrum nahe Rödby auf der Insel Lolland. Der große begehbare Erleuchtungs-Stupa im buddhistischen Kloster  Karma Migyur Ling in Montchardon (Izeron) in Frankreich war 1986 sein nächster Stupa. Im selben Jahr begannen die Stupa-Bauaktivitäten des Dhagpo-Kagyü-Mandalas4 in Frankreich mit einem Stupa in Dhagpo Kundreul Ling, Le Bost. Dieser Erleuchtungs-Stupa wurde von Gendün Rinpoche (1918 - 1997) und Jigme Rinpoche (geb. 1949) spirituell betreut und eingeweiht.

Tenga Rinpoche war der erste Unterstützer eines sehr seltenen Kalachakra-Stupa in den andalusischen Bergen in Spanien. Er war es, der den genauen Bauplatz für den Stupa bestimmte und den von Kalu Rinpoche stammenden Bauplan an Pedro Gomez in Karma Gön weitergab. Der Kalachakra-Stupa wurde Jahre später von Lopön Tsechu Rinpoche (1918 - 2003) errichtet und 1994 eingeweiht. Dieser Stupa bildete den Anfang der sehr fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen dem in Nepal lebenden bhutanesischen Stupa-Experten Lopön Tsechu Rinpoche, dessen langjähriger Schülerin und Vertrauten Maggy Lehnert-Kossowski und dem Architekten Wojtek Kossowski. Insgesamt bauten sie auf Einladung von Hannah und Lama Ole Nydahl gemeinsam 18 Stupas in vielen europäischen Ländern. Nach Lopön Tsechu Rinpoches Tod im Jahr 2003 sind noch weitere von ihm im Vorfeld geplante Stupas errichtet worden. Davon wurde ein Stupa des Herabsteigens in Mexiko 2006 vom 17. Gyalwa Karmapa Trinley Thaye Dorje und ein zweiter Kalachakra-Stupa in Griechenland 2010 von Lama Ole Nydahl und Lama Chogdrub Dorje eingeweiht.



Das bemerkenswerteste Projekt von Lopön Tsechu Rinpoche ist der begehbare Erleuchtungs-Stupa in Benalmadena an der andalusischen Küste Spaniens. Mit seinen 33 Metern Höhe ist er derzeit der größte Stupa Europas und prägt entscheidend das Bild des modernen Stupa-Baus im Westen. Wojtek Kossowski hat bewusst und sehr gekonnt die Formensprache dieses traditionellen Bauwerks aus dem Himalaya an das ästhetische Empfinden des europäischen Betrachters herangeführt. Indem er bewusst auf jeden ornamentalen Schmuck am Außenbau verzichtete und nur zwei Farben einsetzte, nämlich Weiß und Gold, hat er vermieden, das Bauwerk exotisch-überladen und damit kulturell unpassend erscheinen zu lassen. Somit gab er dem Stupa ein klassischformschönes Erscheinungsbild, das seinesgleichen sucht! Der Stupa in Benalmadena hat das Potenzial, zum maßgeblichen Prototyp für eine zeitgemäße Stupa-Architektur zu werden, die auf traditionellen tibetischen Richtlinien basiert. Durch die enge Zusammenarbeit mit Lopön Tsechu Rinpoche wurde gewährleistet, dass der Stupa ein voll funktionierendes Bauwerk im Sinne der buddhistischen Tradition darstellt. Der Stupa ist daher ein Vorzeigemodell für die sehr gut gelungene Integration eines exotisch-buddhistischen Bauwerkes in ein neues kulturelles Umfeld.

Die zeitlose Eleganz der modernen Stupa-Architektur von Benalmadena findet sich auch an den folgenden Stupas der Diamantweg-Zentren. In Ungarn betreute Sherab Gyaltsen Rinpoche (geb. 1950 in Manang, Nepal) einen bemerkenswerten 9 Meter großen Stupa in Becske, 85 Kilometer nordöstlich von Budapest, füllte ihn und weihte ihn ein. Der Stupa sollte ursprünglich in einem Park in Hamburg gebaut werden, was aber durch verschiedene Umstände im letzten Moment verhindert wurde. Das ungarische Bauwerk war nicht Sherab Gyaltsen Rinpoches erster Stupa in Europa, denn er hatte bereits im Jahre 2001 die Errichtung der sogenannten Acht großen Stupas in einer Reihe in Montchardon, Izeron, Frankreich spirituell betreut.



Europäische Stupas im Überblick

Zwischen 1980 und 2012 errichteten Vertreter der Kagyü-Linie des Tibetischen Buddhismus mindestens 220 Stupas in 16 europäischen Ländern, und zwar an 46 Stellen, darunter buddhistische Zentren, Klöster, Privatgrund und öffentliche Plätze.5 Die meisten Stupas wurden auf privatem Grund errichtet, in jüngster Zeit kommt es auch öfter zur Errichtung von Stupas in öffentlichen Parks, wie zum Beispiel am Mönchsberg in Salzburg, Österreich. Insgesamt finden wir 14 begehbare Stupas (11 - 33 Meter Höhe), eine große Zahl nicht begehbarer Einzel-Stupas (1,08 - 13 Meter Höhe) und einige Acht große Stupas in der Reihe.

Die Stupas gehören hauptsächlich zur Gruppe der Acht großen Stupas, eine Tradition, die aus dem alten Indien stammt.6 Diese  Stupas repräsentieren die bedeutenden Ereignisse im Leben des historischen Buddha Shakyamuni. Die acht Stupas sind beinahe baugleich, sie unterscheiden sich nur in der unterschiedlichen Gestaltung der Stufen zwischen Thron und Vase; an dem achten Stupa verschmelzen Stufen und Vase zu einer Glockenform. Der am häufigsten gebaute Stupa ist der Erleuchtungs-Stupa. Darüber hinaus wird in Europa ebenso eine im Himalaya sehr seltene tantrische Stupa-Form gebaut, der Kalachakra-Stupa.



Bedingungen für den Bau eines Stupa

Ein Stupa ist mit keiner Bauform zu vergleichen, die man im Westen kennt. Die meisten Stupas sind in sich abgeschlossene Bauwerke, die nicht betreten werden. Obwohl große Stupas mit einem begehbaren Innenraum ausgestattet sein können, sind sie keine Gebäude im herkömmlichen Sinne. Ein Stupa ist auch keine Skulptur oder ein rein ästhetisches Kunstobjekt. Vielmehr ist ein Stupa ein jahrtausendealter Bedeutungsträger, der die Erleuchtung eines Buddha ausdrückt. Dieses komplexe Bauwerk besteht aus einem äußeren Stupa-Körper und mehreren Hohlräumen im Inneren, die mit Reliquien und kostbaren Substanzen gefüllt werden. Darüber hinaus wird der gesamte Prozess des Bauens und Füllens von Ritualen begleitet. Würde einer dieser Parameter fehlen, würde ein Stupa in der tibetischen Tradition nicht "funktionieren", das heißt, er wäre für die buddhistische Praxis nicht zu verwenden. Es gilt sogar als unheilvoll, wenn ein fertig gebauter und gefüllter Stupa zu lange ohne abschließendes Einweihungsritual stehen bleibt. Werden diese Parameter allerdings genau eingehalten, dann entsteht nach tibetischer Tradition ein perfektes, dreidimensionales Mandala, das man auch als ein Kraftwerk im Netzwerk des Universums bezeichnen kann.



Die spirituelle Betreuung

Ein Stupa wird immer von einem erfahrenen tibetischen Meister spirituell betreut. In der Kagyü-Schule gibt es die traditionelle Ausbildung zum sogenannten Vajra-Meister (tib. Dorje Lopön)7. Lama Chogdrub Dorje, ein im Stupa-Bau sehr erfahrener Vajra- Meister, erklärte in einem persönlich geführten Interview8, dass jeder Vajra-Meister ein allgemeines Wissen über den Stupa-Bau haben sollte, da diese Belehrungen in der traditionellen 3-Jahres- Retreat Ausbildung enthalten sind. Jedoch gibt es spezielle Rituale, die der Dorje Lopön extra erlernen muss, bevor er einen Stupa-Bau betreuen kann. Für den Bau eines Kalachakra-Stupa muss er außerdem ein mindestens einjähriges Kalachakra-Retreat  absolvieren. Der Vajra-Meister, der Stupa-Projekte leitet, sei in der Regel ein voll ordinierter Mönch, jedoch sei Mönch sein keine notwendige Voraussetzung dafür.



Der passende Bauplatz mit Baugenehmigung

Die optimale Lage der Stupas wird mittels tibetischer Geomantie bestimmt. Geomantie ist die Deutung topographischer Merkmale der Erde, wobei die Landschaftsformen eines Gebietes oder das Aussehen einer bestimmten Örtlichkeit gedeutet werden. Geomantische Berechnungen und Interpretationen haben das kulturelle Leben der Tibeter in der Vergangenheit stark geprägt. Bis heute sind im tibetischen Kulturkreis geomantische Interpretationen ausschlaggebend für die Wahl von Bauplätzen aller Art. Egal, ob ein Wohnhaus, ein Kloster oder ein Stupa neu errichtet werden soll, der Geomant wird die Gestalt des in Frage kommenden Geländes genau analysieren.
Ein Berg, der Flusslauf, der Wuchs von Baumgruppen usw. werden entsprechend interpretiert und je nachdem, ob die Lage als günstig oder ungünstig eingestuft wird, kommt es zur Bestimmung des konkreten Bauplatzes.9 Der Vajra-Meister, der den Stupa-Bau betreut, kennt die Prinzipien der Geomantie und wird sie entsprechend anwenden, daher ist er derjenige, der den Bauplatz bestimmt.

Ab einer bestimmten Stupa-Größe kann die Baugenehmigung ein wichtiger Punkt sein. Den gesetzlichen Vorgaben entsprechend muss vor Baubeginn bei der Baubehörde eine schriftliche Genehmigung eingeholt werden. Die konkreten Bauordnungen variieren von Land zu Land, allgemein jedoch gilt: Soll ein Stupa im öffentlichen Raum, zum Beispiel auf einem Parkgelände, gebaut werden, kann es schwierig sein, eine schriftliche Baugenehmigung zu erhalten. Die Unterstützung einiger Politiker ist von Vorteil und ein freundschaftliches Einvernehmen mit den unmittelbaren Anwohnern kann das Gelingen eines Stupa-Bauprojekts sehr fördern.



Ein gut funktionierendes Bau-Team

Wie für jedes allgemeine Bauprojekt braucht man auch für einen Stupa-Bau ein gut funktionierendes Team. Da ein Stupa meist in ehrenamtlicher Arbeit errichtet wird, ist die freundschaftliche Verbindung der am Bau beteiligten Personen besonders wichtig. Man sagt, ohne stabile Sangha (Gemeinschaft der Praktizierenden) kann ein Stupa nicht gebaut werden, und wenn ein Stupa fertig ist, hat der gesamte Prozess die Freundschaft innerhalb der Sangha sehr gestärkt.


Sind die genannten Vorbedingungen vorhanden – die spirituelle Betreuung durch einen erfahrenen Vajra-Meister, der Baugrund samt Baugenehmigung, und das Team – beginnen die konkreten Vorbereitungen und der Bau selbst.



Parameter des Stupa-Baus

Es gibt grundlegende Parameter, die den Bau von Stupas seit Jahrhunderten genau definieren. Diese Richtlinien findet man in den Werken von erfahrenen tibetischen Meistern, die bereits teilweise übersetzt sind bzw. derzeit übersetzt werden. Der betreuende Vajra-Meister gibt diese Anweisungen an das ausführende Team weiter.



Die Proportionen eines Stupa

Die Proportionen der Acht großen Stupas, also die Größenverhältnisse der einzelnen Bauteile zueinander, werden in einem modularen System berechnet. Das heißt die Höhe, Breite und Tiefe der einzelnen Bauteile werden in Modulen (Maßeinheiten) angegeben und der Stupa kann daher in jeder beliebigen Größe gebaut werden. Die Anzahl der Module bleibt immer gleich, wodurch die Einhaltung der Proportionen gewährleistet wird. Diese Methode war auch in der abendländischen Antike üblich, wobei hier der halbe untere Säulendurchmesser eines Tempels als ein Modul festgelegt war.

Für den Stupa-Bau maßgeblich sind vor allem die Abhandlungen der tibetischen Gelehrten Butön Rinchendrub (1290 - 1364) und Desid Sangye Gyatso (1653 - 1705). Für die Stupas der Karma-Kagyü-Schule wird seit dem 19. Jahrhundert das modulare System aus einem Text des 15. Karmapa Khakyab Dorje (1871 - 1922) verwendet.10 Die Höhe des Stupa besteht hier immer aus 64 kleinen Modulen, die Breite aus 40 kleinen Modulen. Jedes Bauteil, der Thron, die einzelnen Stufen, die Vase usw. haben ihre eigenen Maßeinheiten. Ein Architekt, der einen Stupa neu plant, hält sich an diese Anweisungen, die er am besten direkt vom betreuenden Vajra-Meister erhält.



Die Füllung und begleitenden Rituale

Die exakte Füllung eines Stupa ist ein sehr wichtiger Bestandteil des Stupa-Baus und erfordert viele Vorbereitungen. Genaue Anweisungen zum Füllen von Statuen und Stupas gibt es beispielsweise in einem Werk des 1. Jamgön Kongtrul Lodro Thaye (1813 - 1899). Ein Stupa enthält immer Reliquien, wobei die Hauptreliquie oft direkt an der zentralen Achse, dem sogenannten Lebensbaum, befestigt ist. Um den Lebensbaum herum sind in zwei Schatzkammern die Mandalas der Buddha-Aspekte Tsugtor Drime (tib. tsug gtor dri med) und Öser Drime (tib. 'od zer dri med) mit den entsprechenden Geschenken angeordnet.



Ebenfalls im Stupa befinden sich:


  • buddhistische Texte: In große Stupas kommt der gesamte Kangyur (Buddhas direkte Lehren) und Tengyur (Kommentarliteratur der indischen Meister)
  • die Fünf Arten von Reliquien11, darunter:
  1. TsaTsas: Reliefs mit Buddhadarstellungen und Stupas aus Lehm oder Gips
  2. Mantra-Rollen: Papierstreifen mit den aufgedruckten Fünf Großen Mantras werden mit Safranwasser desinfiziert und nach dem Trocknen gerollt
  3. und unzählige andere kostbare Substanzen.

Der gesamte Stupa-Bau wird nach geomantischen Richtlinien bestimmt und ist von entsprechenden Ritualen begleitet.
Ritualtexte für Stupa-Bau und -Füllung sind beispielsweise von Chogyur Lingpa (1829 - 1870) zusammengestellt worden.

Der Füllung wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Alle Substanzen werden gesegnet, bevor sie in den Stupa gegeben werden, und wenn eine Schatzkammer fertig gefüllt wurde, wird sie ebenfalls in einem speziellen Ritual gesegnet. Das Einsetzen des Lebensbaumes ist ein besonderes Ereignis, das an einem berechneten Tag durchgeführt wird. Nachdem der Stupa fertig gefüllt und die zentrale Buddhastatue in die Nische außen an der Vase eingesetzt wurde, findet die abschließende Einweihung statt.

Im Tibetischen Buddhismus ist es üblich, dass Tempel, Stupas und Bildwerke durch ein entsprechendes Ritual, das von den Tibetern Rabne (rab gnas) genannt wird, in ein gesegnetes Objekt umgewandelt werden. Man kann sich diesen Prozess so vorstellen, dass der Vajra-Meister die Buddhas einlädt, in dem Objekt Platz zu nehmen. Ab diesem Zeitpunkt kann es für die buddhistische Praxis verwendet werden.

Der Stupa-Bau befindet sich in Europa in seinen Anfängen. Die bisherige Forschung hat ergeben, dass die Erbauer meist sehr großen Wert auf die Einhaltung der notwendigen Regeln und Rituale legen. Dadurch wird eine authentische Übertragung von Ost nach West gewährleistet. Die Stupas in Europa können daher im Sinne der buddhistischen Tradition als voll funktionierende Symbole für den Dharmakaya, den Wahrheitszustand eines Buddha verstanden und verwendet werden.

Literatur
Bagchi, P.C. (1941) "The Eight Great Caityas and their Cult", The Indian Historical Quarterly, 17 (2), S. 223‒235.

Baumann, Martin (2002) "Buddhism in Europe: Past, Present, Prospects", in: Westward Dharma. Buddhism Beyond Asia. Prebish, Ch. S., Baumann, M., Berkley, (Hrsg.), Los Angeles, London: University of California Press, S. 84‒105.

Bentor, Yael (1994) "Tibetan Relic Classifications", in Kvaerne, Per (Hrsg.) Tibetan Studies , Proceedings of the 6th  Seminar of the International Association for Tibetan Studies, Fagernes 1992, 1, Oslo: The Institute for Comparative Research in Human Culture.

Bentor, Yael (1995) "In Praise of Stūpas. The Tibetan Eulogy at Chü-Yung-Kuan Reconsidered", Indo-Iranian Journal, 38, S. 31‒54.

Khodarkovsky, Michael (1992) Where Two Worlds Met: The Russian State and the Kalmyk Nomads 1600-1771. Ithaca, New York: Cornell University Press.

Maurer, Petra (2009) Die Grundlagen der Tibetischen Geomantie Dargestellt anhand des 32. Kapitels des Vaidūrya dkar po von sde srid Sangs rgyas rgya mtsho (1653‒1705). Ein Beitrag zum Verständnis der Kultur-und Wissenschaftsgeschichte Tibets zur Zeit des 5. Dalai Lama Ngag dbang blo bzang rgya mtsho (1617‒1682). Halle: International Institute for Tibetan and Buddhist Studies.

Pema, Dorjee (1996) Stupa and its Technology. A Tibeto-Buddhist Perspective. New-Delhi: Motilal Banarsidass Publishers.

Roth, Gerhard, Ehrhard, Franz-Karl, u.a. (2009) Stupa. Cult and Symbolism. New Delhi: Aditya Prakashan.

Seegers, Eva (2011) Visual Expressions of Buddhism in Contemporary Society: Tibetan Stupas Built by Karma Kagyu Organisations in Europe. Ph.D. Thesis, Canterbury Christ Church University.

Tucci, Guiseppe (1932/1988) Stupa. Art, Architecture and Symbolism. New Delhi: Aditya Prakashan.

*Auf die akademisch korrekte Schreibweise der Begriffe in Sanskrit und Tibetisch wurde im Sinne der leichteren Lesbarkeit auf Wunsch der Redaktion bewusst verzichtet.

1: Ursprung, Wortbedeutung und Symbolik eines Stupas sowie die Verbreitung in Asien wurden bereits in den Ausgaben 45 und 46 von Buddhismus Heute erklärt.

2: Die Kalmyken waren Anhänger der Gelug Schule des Tibetischen Buddhismus. Im 13. Jahrhundert standen sie wohl auch unter dem Einfluss von Kagyü Meistern, v.a. dem zweiten Karmapa Karma Pakshi (1224 - 1283). Für mehr Informationen siehe Michael Khodarkovsky, 1992.

3: Für mehr Informationen zum Thema Buddhismus in Europa siehe Martin Baumann,
2002.

4: Als der 16. Gyalwa Karmapa in den 1970er Jahren Gendün Rinpoche und Jigme Rinpoche beauftragte, den Dharma in Frankreich zu lehren, legte er das Fundament für das Dhagpo-Kagyü-Mandala. Es entstand zunächst das Zentrum Dhagpo Kagyü Ling in der Dordogne und später Dhagpo Kündröl Ling in der Auvergne mit seinen 3-Jahres-Retreat-Zentren und der Klostergemeinschaft. Viele weitere an das Mandala angeschlossene Zentren folgten.

5: Die Autorin erstellte im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit eine Bestandsaufnahme der Stupas in Europa. Siehe Eva Seegers, 2011.

6: Die Acht großen Stupas sind nicht zu verwechseln mit den Acht Reliquien-Stupas, die laut buddhistischer Legende nach Buddhas Tod über dessen Reliquien errichtet wurden. Für mehr Informationen zum Thema siehe Yael Bentor, 1995 und Tadeusz Skorupski, 2001

7: Zu den Eigenschaften eines Vajra-Meisters siehe Tadeusz Skorupski, 2002

8: Interview mit der Autorin am 28. November 2010 in Hamburg, Deutschland.

9: Für mehr Informationen zum Thema tibetische Geomantie siehe Petra Maurer, 2009.

10: Tucci (1932 - 1988) hat die Proportionssysteme von Butön Rinchendrub und Desid Sagye
Gyatso übersetzt und festgestellt, dass sie sich in einigen Details voneinander unterscheiden. Vergleicht man sie mit dem Proportionssystem des 15. Karmapa, fallen weiter kleinere Abweichungen auf; für mehr Informationen siehe Eva Seegers, 2011.

11: Für mehr Informationen zum Thema der Klassifikation von Reliquien siehe Yael Bentor, 1994, S. 23.



Eva Seegers,
Buddhistin seit 1989, hat Universitätsabschlüsse in Kunstgeschichte und Religionswissenschaft. Momentan ist sie Research Fellow am Zentrum für Buddhismuskunde an der Universität Hamburg. Spezialisiert auf Buddhistische Kunst in all ihren Facetten, liegt ihr Forschungsschwerpunkt auf Tibetischen Stupas. Ein Buch zum Thema ist in Arbeit. Eva unterstützt das akademische Team am ITAS in Spanien.

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