Kraftfelder im Netzwerk des UniversumsEva Seegers
Stupas werden in Asien seit über 2000 Jahren gebaut und zählen somit zu den ältesten und wohl auch faszinierendsten Architekturformen des Buddhismus. Im tibetischen Kulturraum ergeben ihre perfekte Form, der genau vorgegebene Inhalt, die damit verbundenen Rituale, und ihre vielschichtige, symbolische Bedeutung ein perfektes, dreidimensionales Mandala (Kraftfeld).1 Diese exotischen Bauwerke sind im europäischen Kulturkreis nicht besonders bekannt, obwohl sie sich bei europäischen Buddhisten in jüngster Zeit großer Beliebtheit erfreuen. Als vor dreißig Jahren die ersten Stupas von Vertretern der Karma-Kagyü-Linie des Tibetischen Buddhismus in Europa errichtet wurden, begann eine spannende Ära des modernen Stupa-Baus, die bis heute anhält.
"Der" oder "die" Stupa?
" Die Insider- und Outsider-Sichtweisen Der Outsider kann ein Politiker, Journalist oder Anrainer sein, der unmittelbar mit einem Stupa-Projekt in seiner Stadt konfrontiert wird. Als Nicht-Buddhist ist es oftmals schwer zu verstehen, was ein Stupa ist und warum er gerade hier gebaut werden soll, so dass es zu Missverständnissen kommen kann. Die sind zwar nicht immer vermeidbar, da die kulturellen Unterschiede oftmals sehr groß sind, aber eine gute Aufklärung kann viele Prozesse harmonisch ablaufen lassen bzw. Projekte erst ermöglichen. Der Outsider kann auch ein Wissenschaftler sein, der sich mit dem Thema Stupas beschäftigt. Die Erforschung der Stupas ist sehr vielfältig und setzt sich aus vielen verschiedenen Fachdisziplinen zusammen (interdisziplinäre Forschung): Kunsthistoriker analysieren die unterschiedlichen Baustile; Bauforscher und Archäologen untersuchen die Überreste der alten Stupas im Himalaya und ziehen so Rückschlüsse auf ihre Ursprünge. Ein Tibetologe kann beispielsweise tibetische Texte übersetzen, die von der Füllung von Stupas und Statuen handeln. Ein Religionswissenschaftler kann im Rahmen der buddhistischen Religion die Übertragung der Stupas nach Europa untersuchen und die Chancen und Risiken bewerten, die entstehen, wenn sich eine traditionelle asiatische Bauform in einem neuen kulturellen Umfeld wiederfindet. In jüngster Zeit sind Buddhisten, also Insider, ausgehend von Amerika auch vermehrt an westlichen Universitäten tätig und somit trainiert, die Outsider-Position einzunehmen. In so einem Fall verbinden sich in einer Person beide Sichtweisen. Wenn man diese unterschiedlichen Perspektiven klar voneinander unterscheidet und sie als Werkzeuge betrachtet – die man je nach Bedarf und im richtigen Zusammenhang aus dem Werkzeugkasten nimmt – können sie sich gegenseitig unterstützen und zu einem besseren Verständnis des jeweiligen Gegenstands beitragen. All diese Informationen können auch für praktizierende Buddhisten hilfreich sein. Andersherum können die praktischen Erfahrungen der Buddhisten dem Outsider helfen, Inhalte besser zu verstehen.
Stupas im Westen
Unabhängig von den Ereignissen in Kalmykien kamen die akademischen Zirkel Europas Anfang des 19. Jahrhunderts erstmals mit dem Buddhismus in direkten Kontakt. Der Pali-Kanon wurde übersetzt und studiert, vereinzelte Gelehrte wurden Mönche der Theravada-Tradition. Ab den 1960er Jahren wurde der Buddhismus auch vermehrt praktiziert, führend waren hier diverse Zen-Schulen. Als in den frühen 1970er Jahren der 16. Gyalwa Karmapa Rigpe Dorje (1924 - 1981) nach Europa und in die USA reiste, öffnete er die Türen für die Karma-Kagyü-Schule des Tibetischen Buddhismus. Von da an stieg die Anzahl seiner Schüler im Westen stetig. Unter seiner Schirmherrschaft wurden europaweit und in den USA buddhistische Zentren gegründet, die sich im Laufe der Zeit zu verschiedenen Organisationen entwickelten.3 1976 wurde der erste von seinen Schülern im Westen erbaute Stupa vom 16. Karmapa persönlich eingeweiht. Dieser Erleuchtung-Stupa steht heute noch – frisch renoviert – in Huelo auf der Insel Maui in Hawaii. In Europa wurden im Rahmen der Kagyü-Schule die ersten tibetischen Stupas von den Meistern Kalu Rinpoche (1905 - 1989) und Tenga Rinpoche (1932 - 2012) betreut und eingeweiht. In Frankreich weihte Kalu Rinpoche im Jahr 1980 den ersten begehbaren Erleuchtungs-Stupa ein. Er steht auf dem Gelände von Dashang Kagyü Ling in Château de Plaige. Nur vier Jahre später betreute Tenga Rinpoche auf Einladung von Hannah und Lama Ole Nydahl den ersten Stupa für die Diamantweg-Zentren in einem kleinen dänischen Retreat-Zentrum nahe Rödby auf der Insel Lolland. Der große begehbare Erleuchtungs-Stupa im buddhistischen Kloster Karma Migyur Ling in Montchardon (Izeron) in Frankreich war 1986 sein nächster Stupa. Im selben Jahr begannen die Stupa-Bauaktivitäten des Dhagpo-Kagyü-Mandalas4 in Frankreich mit einem Stupa in Dhagpo Kundreul Ling, Le Bost. Dieser Erleuchtungs-Stupa wurde von Gendün Rinpoche (1918 - 1997) und Jigme Rinpoche (geb. 1949) spirituell betreut und eingeweiht. Tenga Rinpoche war der erste Unterstützer eines sehr seltenen Kalachakra-Stupa in den andalusischen Bergen in Spanien. Er war es, der den genauen Bauplatz für den Stupa bestimmte und den von Kalu Rinpoche stammenden Bauplan an Pedro Gomez in Karma Gön weitergab. Der Kalachakra-Stupa wurde Jahre später von Lopön Tsechu Rinpoche (1918 - 2003) errichtet und 1994 eingeweiht. Dieser Stupa bildete den Anfang der sehr fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen dem in Nepal lebenden bhutanesischen Stupa-Experten Lopön Tsechu Rinpoche, dessen langjähriger Schülerin und Vertrauten Maggy Lehnert-Kossowski und dem Architekten Wojtek Kossowski. Insgesamt bauten sie auf Einladung von Hannah und Lama Ole Nydahl gemeinsam 18 Stupas in vielen europäischen Ländern. Nach Lopön Tsechu Rinpoches Tod im Jahr 2003 sind noch weitere von ihm im Vorfeld geplante Stupas errichtet worden. Davon wurde ein Stupa des Herabsteigens in Mexiko 2006 vom 17. Gyalwa Karmapa Trinley Thaye Dorje und ein zweiter Kalachakra-Stupa in Griechenland 2010 von Lama Ole Nydahl und Lama Chogdrub Dorje eingeweiht. Das bemerkenswerteste Projekt von Lopön Tsechu Rinpoche ist der begehbare Erleuchtungs-Stupa in Benalmadena an der andalusischen Küste Spaniens. Mit seinen 33 Metern Höhe ist er derzeit der größte Stupa Europas und prägt entscheidend das Bild des modernen Stupa-Baus im Westen. Wojtek Kossowski hat bewusst und sehr gekonnt die Formensprache dieses traditionellen Bauwerks aus dem Himalaya an das ästhetische Empfinden des europäischen Betrachters herangeführt. Indem er bewusst auf jeden ornamentalen Schmuck am Außenbau verzichtete und nur zwei Farben einsetzte, nämlich Weiß und Gold, hat er vermieden, das Bauwerk exotisch-überladen und damit kulturell unpassend erscheinen zu lassen. Somit gab er dem Stupa ein klassischformschönes Erscheinungsbild, das seinesgleichen sucht! Der Stupa in Benalmadena hat das Potenzial, zum maßgeblichen Prototyp für eine zeitgemäße Stupa-Architektur zu werden, die auf traditionellen tibetischen Richtlinien basiert. Durch die enge Zusammenarbeit mit Lopön Tsechu Rinpoche wurde gewährleistet, dass der Stupa ein voll funktionierendes Bauwerk im Sinne der buddhistischen Tradition darstellt. Der Stupa ist daher ein Vorzeigemodell für die sehr gut gelungene Integration eines exotisch-buddhistischen Bauwerkes in ein neues kulturelles Umfeld. Die zeitlose Eleganz der modernen Stupa-Architektur von Benalmadena findet sich auch an den folgenden Stupas der Diamantweg-Zentren. In Ungarn betreute Sherab Gyaltsen Rinpoche (geb. 1950 in Manang, Nepal) einen bemerkenswerten 9 Meter großen Stupa in Becske, 85 Kilometer nordöstlich von Budapest, füllte ihn und weihte ihn ein. Der Stupa sollte ursprünglich in einem Park in Hamburg gebaut werden, was aber durch verschiedene Umstände im letzten Moment verhindert wurde. Das ungarische Bauwerk war nicht Sherab Gyaltsen Rinpoches erster Stupa in Europa, denn er hatte bereits im Jahre 2001 die Errichtung der sogenannten Acht großen Stupas in einer Reihe in Montchardon, Izeron, Frankreich spirituell betreut. Europäische Stupas im Überblick
Die Stupas gehören hauptsächlich zur Gruppe der Acht großen Stupas, eine Tradition, die aus dem alten Indien stammt.6 Diese Stupas repräsentieren die bedeutenden Ereignisse im Leben des historischen Buddha Shakyamuni. Die acht Stupas sind beinahe baugleich, sie unterscheiden sich nur in der unterschiedlichen Gestaltung der Stufen zwischen Thron und Vase; an dem achten Stupa verschmelzen Stufen und Vase zu einer Glockenform. Der am häufigsten gebaute Stupa ist der Erleuchtungs-Stupa. Darüber hinaus wird in Europa ebenso eine im Himalaya sehr seltene tantrische Stupa-Form gebaut, der Kalachakra-Stupa. Bedingungen für den Bau eines Stupa
Die spirituelle Betreuung
Der passende Bauplatz mit Baugenehmigung Ab einer bestimmten Stupa-Größe kann die Baugenehmigung ein wichtiger Punkt sein. Den gesetzlichen Vorgaben entsprechend muss vor Baubeginn bei der Baubehörde eine schriftliche Genehmigung eingeholt werden. Die konkreten Bauordnungen variieren von Land zu Land, allgemein jedoch gilt: Soll ein Stupa im öffentlichen Raum, zum Beispiel auf einem Parkgelände, gebaut werden, kann es schwierig sein, eine schriftliche Baugenehmigung zu erhalten. Die Unterstützung einiger Politiker ist von Vorteil und ein freundschaftliches Einvernehmen mit den unmittelbaren Anwohnern kann das Gelingen eines Stupa-Bauprojekts sehr fördern.
Ein gut funktionierendes Bau-Team Sind die genannten Vorbedingungen vorhanden – die spirituelle Betreuung durch einen erfahrenen Vajra-Meister, der Baugrund samt Baugenehmigung, und das Team – beginnen die konkreten Vorbereitungen und der Bau selbst. Parameter des Stupa-Baus
Die Proportionen eines Stupa
Für den Stupa-Bau maßgeblich sind vor allem die Abhandlungen der tibetischen Gelehrten Butön Rinchendrub (1290 - 1364) und Desid Sangye Gyatso (1653 - 1705). Für die Stupas der Karma-Kagyü-Schule wird seit dem 19. Jahrhundert das modulare System aus einem Text des 15. Karmapa Khakyab Dorje (1871 - 1922) verwendet.10 Die Höhe des Stupa besteht hier immer aus 64 kleinen Modulen, die Breite aus 40 kleinen Modulen. Jedes Bauteil, der Thron, die einzelnen Stufen, die Vase usw. haben ihre eigenen Maßeinheiten. Ein Architekt, der einen Stupa neu plant, hält sich an diese Anweisungen, die er am besten direkt vom betreuenden Vajra-Meister erhält. Die Füllung und begleitenden Rituale
Ebenfalls im Stupa befinden sich:
Der gesamte Stupa-Bau wird nach geomantischen Richtlinien bestimmt und ist von entsprechenden Ritualen begleitet. Der Füllung wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Alle Substanzen werden gesegnet, bevor sie in den Stupa gegeben werden, und wenn eine Schatzkammer fertig gefüllt wurde, wird sie ebenfalls in einem speziellen Ritual gesegnet. Das Einsetzen des Lebensbaumes ist ein besonderes Ereignis, das an einem berechneten Tag durchgeführt wird. Nachdem der Stupa fertig gefüllt und die zentrale Buddhastatue in die Nische außen an der Vase eingesetzt wurde, findet die abschließende Einweihung statt. Im Tibetischen Buddhismus ist es üblich, dass Tempel, Stupas und Bildwerke durch ein entsprechendes Ritual, das von den Tibetern Rabne (rab gnas) genannt wird, in ein gesegnetes Objekt umgewandelt werden. Man kann sich diesen Prozess so vorstellen, dass der Vajra-Meister die Buddhas einlädt, in dem Objekt Platz zu nehmen. Ab diesem Zeitpunkt kann es für die buddhistische Praxis verwendet werden. Der Stupa-Bau befindet sich in Europa in seinen Anfängen. Die bisherige Forschung hat ergeben, dass die Erbauer meist sehr großen Wert auf die Einhaltung der notwendigen Regeln und Rituale legen. Dadurch wird eine authentische Übertragung von Ost nach West gewährleistet. Die Stupas in Europa können daher im Sinne der buddhistischen Tradition als voll funktionierende Symbole für den Dharmakaya, den Wahrheitszustand eines Buddha verstanden und verwendet werden. Baumann, Martin (2002) "Buddhism in Europe: Past, Present, Prospects", in: Westward Dharma. Buddhism Beyond Asia. Prebish, Ch. S., Baumann, M., Berkley, (Hrsg.), Los Angeles, London: University of California Press, S. 84‒105. Bentor, Yael (1995) "In Praise of Stūpas. The Tibetan Eulogy at Chü-Yung-Kuan Reconsidered", Indo-Iranian Journal, 38, S. 31‒54. Khodarkovsky, Michael (1992) Where Two Worlds Met: The Russian State and the Kalmyk Nomads 1600-1771. Ithaca, New York: Cornell University Press. Maurer, Petra (2009) Die Grundlagen der Tibetischen Geomantie Dargestellt anhand des 32. Kapitels des Vaidūrya dkar po von sde srid Sangs rgyas rgya mtsho (1653‒1705). Ein Beitrag zum Verständnis der Kultur-und Wissenschaftsgeschichte Tibets zur Zeit des 5. Dalai Lama Ngag dbang blo bzang rgya mtsho (1617‒1682). Halle: International Institute for Tibetan and Buddhist Studies. Pema, Dorjee (1996) Stupa and its Technology. A Tibeto-Buddhist Perspective. New-Delhi: Motilal Banarsidass Publishers. Roth, Gerhard, Ehrhard, Franz-Karl, u.a. (2009) Stupa. Cult and Symbolism. New Delhi: Aditya Prakashan. Seegers, Eva (2011) Visual Expressions of Buddhism in Contemporary Society: Tibetan Stupas Built by Karma Kagyu Organisations in Europe. Ph.D. Thesis, Canterbury Christ Church University. Tucci, Guiseppe (1932/1988) Stupa. Art, Architecture and Symbolism. New Delhi: Aditya Prakashan. Eva Seegers, Buddhistin seit 1989, hat Universitätsabschlüsse in Kunstgeschichte und Religionswissenschaft. Momentan ist sie Research Fellow am Zentrum für Buddhismuskunde an der Universität Hamburg. Spezialisiert auf Buddhistische Kunst in all ihren Facetten, liegt ihr Forschungsschwerpunkt auf Tibetischen Stupas. Ein Buch zum Thema ist in Arbeit. Eva unterstützt das akademische Team am ITAS in Spanien. |
||
![]() |