Buddhismus trifft Münchner Wissenschaftvon Jürgen Segerer
Die Bedingungen kommen zusammen. Inspiriert durch das Motto "Brücken bauen" der 850-Jahre Feier der Stadt München begann die Münchner Sangha im Sommer 2007 zu überlegen, was man der Stadt und den Münchner Bürgern bei dem umfangreichen Programm zum 850jährigen Stadtgeburtstag Sinnvolles beisteuern möchte. Sehr schnell kristallisierte sich das Thema Buddhismus und Wissenschaft heraus. München ist eine Stadt der Wissenschaften mit Elite-Universitäten und bekannten Forschungsinstituten. Gleichzeitig gründete Lama Ole hier 1974 das erste deutsche Diamantwegszentrum. Der "Brückenschlag" sollte also durch ein Symposium zum Thema Buddhismus und Wissenschaft geschehen. Dieses sollte den Zuhörern die neuesten Forschungsergebnisse der modernen Wissenschaft und die mehr als 2500 Jahre alte Lehre des Buddhismus gegenüberstellen und die Möglichkeit bieten, selbst Erkenntnisse über das eigene Erleben der Wirklichkeit zu ziehen - so die Idee.
Wir reichten unser Konzept beim Organisationskomitee der Stadt ein. Es fand Gefallen und unser Symposium war nun ein offizielles Projekt der Stadt München zu den Feierlichkeiten des Stadtgeburtstages! Rückwirkend betrachtet, war dies ein wichtiger Meilenstein, der uns viele Kontakte ermöglichte und Türen für die Organisation und Bekanntmachung der Veranstaltung öffnete. Die Kontaktaufnahme und Vorgespräche mit den beiden Professoren, die wir für unser Symposium gewinnen wollten, verliefen überaus offen und viel versprechend. Auch ein passender Moderator wurde gefunden - Guido Czeija aus der benachbarten Sangha in Salzburg war als Physiker und buddhistischer Reiselehrer prädestiniert für diese Aufgabe. Gemeinsam analysierten nun Guido und ich, die Dokumentationen vorangegangener Veranstaltungen weltweit zu diesem Thema und entwarfen dann die inhaltliche Struktur des Symposiums. Das Audimax der Technischen Universität München war der ideale Ort für diese Veranstaltung. Als am Abend des Events, etwa eine halbe Stunde vor Beginn, noch immer lange Schlangen vor unseren Kassen standen, machte sich bezahlt, dass wir sicherheitshalber den großen Hörsaal im Nebengebäude zusätzlich angemietet hatten. Dorthin konnten wir via Streaming die Veranstaltung live übertragen. Zur großen Freude aller kamen ca. 1.800 Besucher zu unserem Symposium "Buddhismus trifft Münchner Wissenschaft"! So waren wir gemeinsam mit unserem Ehrengast, dem 3. Bürgermeister Münchens, Hep Monatzeder und vielen Journalisten gespannt auf den ersten Redner, Prof. Harald Weinfurter. Die Wirklichkeit aus der Sicht der Physik. Zum Beispiel würde jeder annehmen, dass die Geldmenge in seiner Tasche ein konkreter fixer Betrag ist, der über die Zeit dieses Vortrags (hoffentlich) gleich bleibt. Insbesondere sollte der gefundene Geldbetrag unabhängig davon sein, wer nachzählt - man selbst oder jemand anderer. Die Rolle der Physik ist nun, die Veränderung dieses Geldbetrags (bzw. irgendeiner objektiv gefundenen Größe) und seine Abhängigkeit von anderen Größen zu beschreiben. Wir Physiker verlassen uns sehr auf solche Abhängigkeiten, weil wir dann ausgehend von einer Beobachtung auf die Eigenschaften anderer Größen schließen können. Selbst bei dem so zufälligen Wurf eines Würfels ist das möglich. Wüssten wir die Eigenschaften des Würfels und seine genaue Bewegung, dann könnten wir im Prinzip auch das Ergebnis berechnen. Es ist also möglich diesen Zufall vollständig auf physikalische Gesetze zurückzuführen. Das ist das Prinzip der klassischen Physik: Kennt man die Anfangswerte, kann man jeden Zwischenzustand und den Endzustand vollständig beschreiben. Alles ist streng deterministisch, wir können mit ausreichend Rechenaufwand im Prinzip alles genau berechnen. Die im Jahr 1900 begonnene Entwicklung der Quantenmechanik hat diese Art des Denkens nun komplett umgestoßen. Ein Beispiel dafür ist die Heisenbergsche Unschärferelation. Ihr zufolge ist es nicht möglich alle Eigenschaften eines Systems gleichzeitig beliebig genau zu kennen, etwa Geschwindigkeit und Ort eines Teilchens. Autofahrer können sich natürlich trotzdem auf ihr Navigationsgerät verlassen, denn praktischerweise sind die Einflüsse der Quantenmechanik auf so große Objekte wie ein fahrendes Auto sehr gering. Aber die Theorie wirft ein grundlegendes Problem auf. Ist nämlich die Position eines Teilchens exakt bestimmt, dann wird seine Geschwindigkeit völlig zufällig sein. Hier mussten Physiker einen grundsätzlichen Zufall akzeptieren. Keine Beschreibung kann vorhersagen, welche Geschwindigkeit gemessen wird und wie der Zusammenhang mit der Geschwindigkeit vor der Ortsmessung ist. Nicht wenige Physiker - darunter auch Einstein - hielten die Quantenmechanik damals für einen Zwischenschritt und dachten, man würde später zu einer vollständigen Beschreibung dieser Vorgänge gelangen. Einstein reagierte mit einer berühmt gewordenen Veröffentlichung, in der er zwei Forderungen an die Physik stellte. Einstein betrachtete ein System aus zwei verschränkten Teilchen. Die Teilchen stammen aus einer gemeinsamen Quelle und haben im Erzeugungsprozess gemeinsame Eigenschaften mitbekommen. Laut Quantenmechanik sind solche Systeme möglich. Messungen können aber zu identischen Ergebnissen an verschiedenen Orten führen, ohne dass ein Einfluss Zeit hätte, sich von einer Messung zur anderen auszubreiten. Einstein konnte zeigen, dass in diesem Beispiel die Quantenmechanik im Widerspruch zu seinen zwei Forderungen stand. Erst viele Jahre später wurde ein Experiment gefunden, das diesen Konflikt entscheiden konnte. Die Ergebnisse zeigten deutlich: die beiden Einsteinschen Forderungen werden von der Natur nicht erfüllt. Entweder breiten sich Einflüsse mit Überlichtgeschwindigkeit aus, oder aber Eigenschaften, die nicht beobachtet werden, haben keine Realität. Der zweite Fall bedeutet, dass physikalische Eigenschaften (wie zum Beispiel die Geschwindigkeit eines Teilchens) erst im Moment ihrer Messung zu etwas Realem würden. Es gibt Theorien für beide Ansätze, aber die Experimente können uns an dieser Stelle keine Antworten liefern. Ein amerikanischer Physiker hat die Frage einmal so formuliert: "Ist der Mond da, wenn niemand hinschaut?" Der zweite Redner Prof. Hans-Peter Dürr kann auf eine über 50-jährige Forscherkarriere zurückblicken. Er arbeitete viele Jahre an der Seite von Werner Heisenberg zu Fragen der Teilchenphysik wie auch der Philosophie, später auch zu gesellschaftspolitischen Themen. Er leitete das Münchner Max-Planck-Institut für Physik, ist Träger des Alternativen Nobelpreises und Ehrenbürger der Stadt München. Naturwissenschaftliche Erkenntnis und Erfahrung der Wirklichkeit. Wir erleben mehr als wir begreifen. Die Wissenschaft versucht nun all das, was wir erleben können, in ein Wissen zu verwandeln, es also zu verstehen und damit greifbar zu machen. Es ist eine berechtigte Frage, ob uns das gelingen kann, und wir dank der Wissenschaft irgendwann die gesamte Welt "im Griff haben werden". Zunächst ist unser Erleben etwas, das sich laufend ändert und auf uns wirkt, daher nennen wir es Wirklichkeit. Spreche ich dagegen vom Wissen, dann trenne ich mich ab von der äußeren Welt, indem ich einen Unterschied mache zwischen mir und dem, was ich erlebe. Ich mache es zum "Ding" (lat. Res), zur Realität, und durchschneide damit den Zusammenhang zwischen Subjekt und Objekt. Wissenschaftler bezeichnen das als Objektivierung und glauben dann, sie sprechen über die Wahrheit. Doch dabei ist etwas verloren gegangen. Diese Verbindung zu uns Menschen versucht man in der Physik dann hinterher wieder herzustellen, indem man Kräfte und Wechselwirkungen einführt, die auf den Beobachter einwirken. Doch die zerstörte Verbindung zwischen Subjekt und Objekt liegt auf einer ganz anderen Ebene und kann nicht durch Schallwellen oder elektromagnetische Strahlung ergänzt werden. Von dem Moment an, wo dieser Bruch stattfindet, bewegen sich sowohl spirituelle Menschen als auch Wissenschaftler weiter, allerdings in unterschiedliche Richtungen. Spirituelle Entwicklung führt in den Bereich der A-Dualität, in der der Mensch Teil davon wird, was er beschreibt. Der Wissenschaftler bewegt sich in umgekehrter Richtung in die Dualität herein und versucht aus seiner Außensicht die Welt zu beschreiben. Geht man diesen Weg konsequent weiter, dann kommt auch die Wissenschaft interessanterweise wieder in einen Bereich, wo sie den festen Boden unter ihren Füßen verliert und versteht, was die andere Seite bedeutet. Die Wirklichkeit ist also ganz anders als die Realität, sie ist nur noch Potentialität, die unendliche Vielfalt von Möglichkeiten, sich energetisch materiell zu manifestieren. Aber wie sie sich manifestiert, ist nicht festgelegt. Am Anfang ist nur ein Zusammenhang da, ein Verbindungsgefüge, ohne dass es eine Substanz gäbe, die miteinander verbunden würde. Die Frage: "Was ist?", greift ins Leere. Ähnlich wie zum Beispiel die Frage: "Welche Farbe hat ein Kreis?" Die Eigenschaft "Farbe" macht für den Kreis keinen Sinn. Ich kann nur den gemalten Kreis sehen. Je nach Stift ist der dann blau oder schwarz oder in irgendeiner anderen Farbe. In diesem Sinne ist die Wirklichkeit a-materiell. Um das zu verstehen, kann man die Wirklichkeit auch vergleichen mit einem Gedicht. Hier stehen Buchstaben nebeneinander, aber die Sinnhaftigkeit kommt nicht vom Kohlestaub der Druckertinte, sondern davon, dass wir ein "A" erkennen. Wir sehen mehrere Buchstaben nebeneinander und erfassen ein Wort. Das hat eine Bedeutung, die nicht einfach der Summe der Buchstaben entspricht. Ich muss erst das ganze Gedicht lesen und dann verstehe ich es. Die beiden vorhergehenden Vorträge waren so spannend, dass ich eigentlich Zeit bräuchte, um sie voll zu verstehen. Also gebe ich einfach die buddhistische Sicht und denke später über die vielen Auskünfte nach. Wer in der Meditation nach innen geht, wird wahrnehmen, was die heutige Wissenschaft für die Erscheinungswelt beweist: dass auch innere Eindrücke sich ständig abwechselnd beeinflussen, aber an sich nicht auffindbar sind. Buddha fasste das so zusammen: die äußere Welt ist ein gemeinsamer Traum. Sie verdichtet sich durch die Karmas - unterbewussten Eindrücke - der Wesen aus dem Raum heraus und wird durch die gefärbten Brillen ihrer Gefühle und unterschiedlichen Kulturen erlebt. Dem Raum wohnt seit anfangsloser Zeit Gewahrsein inne. Er nimmt wahr und erlebt. Noch dazu ist er spielerisch und hat - seinem Wesen nach - weder Aufhören noch Grenzen. Der Geist kann unbegrenzt erleben, Neues denken, Spannendes fühlen und erfahren. Er ist zeitlos und drückt spielerisch seinen Reichtum aus, als die äußere wie innere Welt. Diese "Leerheit" aller äußeren wie inneren Erscheinungen von einer dauerhaften Eigennatur ist der Schlüssel zur letztendlichen Einsicht und der Verwirklichung aller dem Geist innewohnenden Eigenschaften. Wirklich zu begreifen, dass nichts an sich vorhanden ist, sondern dass alles durch Bedingungen zusammenkommt, sich ständig ändert und wieder auflöst, letztendlich als kleinste Teilchen ganz in den Raum zurück, bringt einen jenseits aller Zweiheit. Das Leerheitsverständnis unserer Universitäten wurde zu Beginn der 60-er Jahre über die hoch gelehrten Geshes, die der Dalai Lama ihnen kurz nach der Flucht vor den Chinesen sandte, geprägt. Es ist rein analytisch, wie ein oft verwendetes Beispiel zeigt: Nimmt man eine Tasse zur Hand und fragt sich, was genau die Tasse ausmacht, wird man nichts Bestehendes finden. Man findet zwar einen Henkel, einen Boden, einen Rand usw. Die eigentliche Tasse taucht aber nirgendwo auf, denn "Tasse" ist nur eine Bezeichnung. Man kann mit den Einzelteilen der Tasse auf gleiche Weise verfahren, Moleküle, Atome und deren Protonen, Neutronen, Positronen, Elektronen und Quarks untersuchen und wird auch dort zum selben Ergebnis kommen: Nichts Dauerhaftes ist aufzufinden. Nichts dort ist wirklich. Dieser begriffsmäßige Zugang zur Leerheitserfahrung aller Erscheinungen wird auf Tibetisch Rangtong genannt und heißt "leer an sich". Die Einsicht ist aber für Menschen im Westen wenig begeisternd und auch unerwartet. Man weiß, Buddhismus ist eine Erfahrungsreligion und möchte bei den wichtigsten Einsichten schon etwas Erlebbares erfahren. Bei einer weiteren Untersuchung wird das auch festgestellt: Es gibt ein Gewahrsein dieser Leerheit. Dieser Zugang wird auf Tibetisch Shentong genannt, "leer und noch etwas hinzu". Es gibt nicht nur die Leerheit, es gibt auch etwas, das diese Leerheit erfährt. Dieser erweiterten Einsicht folgt noch dazu die allesumfassende Erfahrung der buddhistischen Verwirklicher - Yogis -, die vor allem die letztendlichen Meditationen des buddhistischen Diamantwegs verwenden. Hier wird ein drittes Wort, Detong, benutzt. De kommt hier von Dewa, was Wonne bedeutet, und Tong bedeutet auch hier leer. Also ist die volle Erfahrung vom Wesen des Geistes und aller Dinge jenseits aller Beschreibung wonnevoll, was durch die vereinigten Buddhaformen versinnbildlicht wird. Die stete Leuchtkraft des Spiegels und unerschütterliche Tiefe des Meeres sind sinnvoll und viel bedeutender als die Bilder und Wellen, die dort erscheinen und wieder vergehen. Schon als Europa vor 300 Jahren das erste Mal buddhistische Länder eroberte, wurde wegen unserer aus dem Nahen Osten übernommenen dualistischen Denkweise dieser Leerheitsbegriff stets missverstanden. Wir mussten mit unserer entweder - oder Vorstellungswelt die Leerheit als "nicht vorhanden" deuten und dementsprechend den Buddhismus als einen Weg in ein Nichts. Meine Generation der Hippies, die während der späten sechziger und frühen siebziger Jahre durch die Himalayas auf der Suche nach besonders heiligen Lamas zogen, lernte als erste Westler leer VON zu denken, zu verstehen, dass der Geist leer ist von Größe, Gewicht, Farbe und allen anderen Eigenschaften, die ihn zu einem Ding machen würden. Dass der Erleber aller Welten also weder bedingt noch zusammengesetzt ist und daher keineswegs auseinander fallen oder beschädigt werden kann. Dies bis ins Mark der Knochen zu erfahren ist das allem zu Grunde liegende riesige Geschenk eines Lebens. Wird die Leerheit voll erlebt, äußert es sich auf drei Ebenen: Da man deutlich weder der vergängliche Körper sein kann noch die wechselnden inneren Zustände und der Erleber seinem Wesen nach unzerstörbar bleibt, entsteht Eingebung und man kann furchtlos den Dingen in die Augen sehen. Als Folge davon wird alles frisch und spannend, was der Geist erleben und hervorbringen kann. Das ist ein dauerhaft Glück bringender Einfluss, der alles im Leben durchstrahlt. Drittens wird klar, dass der Geist grenzenlos ist und dass alle Wesen Glück haben und Leid vermeiden wollen. Da man selbst einer ist und die anderen zahllos sind, handelt man selbstverständlich eher zu ihrem Besten. Diese drei Erfahrungen entstehen selbsttätig aber mit sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit durch die Meditationen der Großen und der Diamantenen Buddhistischen Wege. Dazu gehört die Einsicht, dass Buddhas Lehren den Wesen, die alle die Buddhanatur besitzen, nicht die geringste Wahrheit hinzufügen können. Da Raum bewiesenermaßen Wissen ist, können sie nur die Schleier von störenden Gefühlen und steifen Vorstellungen entfernen, die uns davon abhalten zu sehen, was wirklich ist." Lama Ole Nydahl beendete seinen Vortrag mit einer kurzen Meditation. Zum Abschluss überreichten vier Münchner "Dakinis" jeweils ein großes Diamantgeist-TsaTsa (Gips-Relief) an die Teilnehmer der Diskussionsrunde, die anschließend - wie auch das Publikum - ins Münchner Zentrum eingeladen wurden. Dort gab es ein fröhliches get-together mit Essen und Getränken für alle. Lama Ole, Prof. Dürr und Prof. Weinfurter diskutierten noch entspannt bei einem Glas Wein und einem guten Essen weiter, erzählten sich freudig Anekdoten und lernten sich gut kennen. Die offizielle Web-Site der Veranstaltung: www.buddhismus-wissenschaft.de Jürgen Segerer, 37 Jahre, Seit 2000 Zuflucht bei Karmapa, und Schüler von Lama Ole Nydahl, Wirtschaftsinformatiker, lebt und arbeitet in München. Guido Czeija, 34, aus Salzburg ist selbständig als Kommunikationstrainer und Berater. Davor studierte er Mathematik und Physik, unter anderem verbrachte er zweieinhalb Jahre in der Gruppe von Prof. Zeilinger. Seit 1995 ist er Lama Oles Schüler und seit 2006 als Reiselehrer unterwegs. |
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