„Es geht vor allem darum, dass man richtig froh wird.“Von Lopön Tsechu Rinpoche
Buddha Shakyamuni hatte besonders geschickte Methoden und zugleich auch umfassendes Mitgefühl für alle Wesen. Diese beiden Qualitäten ermöglichten es ihm, immer genau den Bedürfnissen und Voraussetzungen seiner Schüler zu entsprechen und individuell auf sie einzugehen.
Er gab den Menschen in sehr geschickter Weise Methoden, mit denen sie die Befreiung vom Leid und den Zustand der Erleuchtung erreichen konnten. Sein Mitgefühl war wie das einer Mutter gegenüber ihrem einzigen Kind. Aber Buddha hatte diese riesige Liebe nicht nur für ein einzelnes Wesen, sondern gleichermaßen für alle, ohne zu unterscheiden. Auf Basis dieser beiden Qualitäten - einerseits Liebe und Mitgefühl, andererseits geschickte Methoden im Anleiten der Schüler - unterrichtete er. Er begann mit einer ersten Ebene von Belehrungen, die sich allgemein an seine Schüler richtete, den so genannten "Vier Wahrheiten der Edlen". Buddha Shakyamuni war nicht von Anfang an ein Buddha und er wurde es auch nicht ohne Grund. Er ging schon in früheren Leben einen geistigen Weg, auf dem er den sogenannten Erleuchtungsgeist entwickelte, den Wunsch Erleuchtung zu erreichen, um alle Wesen zur Buddhaschaft zu führen. Diese Einstellung führte dazu, dass er dann unendlich viel positives Verdienst ansammelte und seinen Geist von Schleiern, Verdunkelungen und von negativem Karma reinigte. So wurde er fähig, sein inneres Potential, die Buddhaschaft, voll zu verwirklichen. Das Entwickeln des Erleuchtungsgeistes ist ganz wesentlich für jede Ebene von Dharmapraxis. Ob wir Belehrungen bekommen, eine Verbeugung machen, eine Kerze darbringen, ein Mantra rezitieren - es sollte immer mit dieser richtigen Motivation geschehen. Im Moment sind wir ja noch nicht fähig, anderen zum Zustand der Buddhaschaft zu verhelfen. Deswegen sollte unserer geistigen Praxis der Wunsch vorangehen, fähig zu werden, alle Wesen zu diesem Zustand der Vollkommenheit, der Verwirklichung des eigenen Potenzials - zur Buddhaschaft - zu führen. Buddha sammelte über drei unendlich lange Zeitalter hin Verdienst an und reinigte seinen Geist von Verdunkelungen. Es gibt eine genauere Beschreibung darüber, wie er sich in jedem dieser drei Kalpas entwickelt hat. Sie entspricht der Unterteilung der Entwicklung gemäß dem Sutra-Weg in die "zehn Bodhisattvastufen" und die "fünf Pfade": Die 500 "reinen Geburten" in vor allem menschlicher Form waren oft zum Beispiel als König, als Lehrer oder als Künstler, also als eine herausragende Persönlichkeit, die viel für andere Menschen tat. Einmal war er König eines Landes, in dem eine Epidemie ausbrach, die niemand stoppen konnte. Der König litt sehr darunter, dass es keine Möglichkeit gab, den Menschen zu helfen. Ein Weiser erzählte ihm von dem Fleisch eines bestimmten Fisches, das die Menschen heilen könnte. Allerdings gab es in diesem Land diese Art von Fisch nicht und so legte der König bei Vollmond auf dem Dach seines Palastes die "Versprechen zur persönlichen Befreiung" (skt. Pratimoksha) ab und machte Wunschgebete dafür, dass er selbst sich sofort in Form dieses Fisches wiedergebären lassen könne. Die 500 sogenannten "unreinen" Wiedergeburten fanden in leidvollen Existenzbereichen statt, deren Erleben die Folge von negativem Karma im Geiststrom ist. Buddha hatte aber schon zuvor den Erleuchtungsgeist entwickelt und erlebte die Folge seiner früheren negativen Handlungen nur sehr kurz. In einer Beschreibung heißt es, dass er einmal in einem Paranoia-Bereich als ein Zugtier zusammen mit einem anderen Wesen eine Karre ziehen musste und viel geschlagen wurde. Der zukünftige Buddha machte einmal den starken Wunsch, dass er gerade jetzt im Moment fähig sein möge, das Leid von dem anderen Wesen auf sich zu nehmen und es zudem zu befreien. Im gleichen Moment wurden beide infolge der Kraft dieser Wünsche von dieser leidvollen Existenz befreit. In einem anderen früheren Leben war der Buddha ein Prinz in einem Königreich im heutigen Bhaktapur in Nepal. Er war der mittlere der Königssöhne. Als diese einmal mit ihrer Mutter einen Picknick-Ausflug in den Wald machten, entfernte er sich ein bisschen von der Gruppe. Er kam auf eine Lichtung, auf der er eine Tigerin mit vier kleinen Tigern sah, die am verhungern waren. Die Tigerin war so ausgemergelt, dass sie ihren Jungen nicht einmal mehr Milch geben konnte, so dass diese schon im Sterben lagen. Dem Prinz brach das Herz als er das sah. Er wollte die Tiere füttern, aber es gab nichts. Schließlich kam ihm die Idee, seinen eigenen Körper zu opfern und er legte sich vor die Tigerin. Aber diese war schon so schwach, dass sie nicht einmal zubeißen konnte. Der Prinz fand einen spitzen Ast und verletzte sich damit, so dass etwas Blut aus seinem Körper austrat. Die Tigerin leckte zuerst an dem Blut, was sie ein bisschen stärkte, bis sie dann zubeißen konnte. Den ersten Lehrzyklus - die "Vier Wahrheiten der Edlen" - lehrte Buddha an diese fünf ersten Schüler. Im Hinblick auf die Lehr-Ebenen Buddhas gibt es eine Unterscheidung in allgemeine und besondere Schüler. Manche seiner Belehrungen sind für alle gemeinsam und darüber hinaus gibt es besondere Lehren. Allen gemeinsam ist der erste Lehrzyklus über die "Vier Wahrheiten der Edlen" und über die sogenannten "Vier Siegel", die vier Grundanschauungen im Buddhismus, die besagen: Alles Zusammengesetzte ist vergänglich. Alles sogenannte "Befleckte" ist leidhaft. Alle Phänomene sind leer, frei von einem Selbst. "Nirvana" ist der Zustand vollkommenen Friedens. Vergänglichkeit ist die Tatsache, dass alles was zusammenkommt, wieder auseinanderfällt. Im Zusammenhang mit dem menschlichen Leben heißt das, dass jeder sterben wird. Jemand lebt, weil er einmal geboren wurde und was geboren wurde, wird auch sterben. Geburt und Tod gehören unausweichlich zusammen. Vergänglichkeit sehen wir auch in diesem Raum hier: erst war er leer, dann kamen wir alle rein, jetzt sitzen wir hier gemeinsam. Später gehen wir nach Hause und er ist wieder leer. Vergänglichkeit bedeutet Unbeständigkeit, dass nichts von Dauer ist. Alles was geboren wird, stirbt. Was immer zusammenkommt, fällt wieder auseinander. Das einzige, das uns in den Tod begleitet, sind die Eindrücke, die unsere positiven Handlungen und negativen Handlungen in unserem Geist hinterlassen haben, also unser Karma. Diese Eindrücke begleiten uns automatisch, wir brauchen ihnen nicht zu sagen: "Kommt mit, ich sterbe jetzt!" Wir können ihnen auch nicht sagen: "Ihr kommt nicht mit! Ich lass euch zurück!" Sie sind automatisch mit dabei, wie der Schatten, der unseren Körper in diesem Leben begleitet. Er ist einfach da, ohne dass wir ihn bewusst mitnehmen müssten oder wegschicken könnten. Es gibt sechs mögliche Arten von Wiedergeburt. Drei davon sind vor allem leidhaft: nämlich die Paranoiabereiche, die Geister-Bereiche und die Tiere. Drei weitere gelten als sogenannte "höhere Bereiche": nämlich Menschen, Halb-Götter und die Götter. Wirkliches Glück wird aber in keiner von diesen sechs Existenzarten erfahren. Wenn wir uns noch einmal Asien und den Westen anschauen, dann sehen wir ja auch hier: ein Mensch im Westen ist nicht unbedingt glücklich, auch wenn es ihm besser geht als einem Menschen in Asien. Buddha sagte einmal über Glück in Samsara: Ebenso wenig wie jemand, der auf der Spitze einer Nadel sitzt schmerzfrei ist, genau so wenig gibt es in Samsara eine Spur von Glück. Im Rahmen der bedingten Existenz ist alles nur leidvoll, auch wenn es vorübergehend in einem gewissen Ausmaß angenehm zu sein scheint. Die industrialisierte Welt des Westens ist wirklich fantastisch mit Möglichkeiten, die an Wunder grenzen, zum Beispiel die schnellen Fortbewegungsmittel, wie Autos und Flugzeuge. Menschen, die solche ausgeklügelten technischen Systeme entwerfen und umsetzen, haben große Fähigkeiten und man sollte annehmen, dass sich deswegen auch die geistige Verfassung entwickelt hätte. An diesem Punkt wird die Lehre Buddhas für unser Leben wirklich relevant. Denn wenn man die Lehre Buddhas praktiziert, dann wird man mehr und mehr Freude erleben und langfristig einen frohen Geist entwickeln. Am Beispiel der früheren Lebenszeiten des Buddha kann man sehen, dass sich diese Wirkung von viel Freude und ein froher Geist nicht unmittelbar einstellt, denn der eigene Geiststrom ist noch belastet von früheren negativen Handlungen. Man sieht es auch an den Lebensbeispielen der großen alten Kagyü-Meister wie zum Beispiel Milarepa, der große Härten durchgestanden hat. In gewissem Ausmaß wird der Geist schnell froh, aber es ist vor allem eine langfristige Wirkung, die sich einstellt, wenn man praktiziert. Was im eigenen Leben geschieht, ist die Folge von Handlungen, die man früher einmal getan hat. Wenn man früher zum Beispiel viel getötet hat, dann wird man ein kurzes Leben haben. Wenn man früher andere Wesen geschlagen hat, wird man viel krank oder zum Beispiel auch geisteskrank sein. Im Westen haben viele Menschen tiefes Vertrauen in die Lehren Buddhas und ein starkes Interesse, sie zu praktizieren. Das findet man in anderen Teilen der Welt selten, es ist etwas sehr Besonderes. Die Dharmapraxis bewirkt, dass man in diesem Leben und in zukünftigen Lebenszeiten erst weniger und dann gar kein Leid mehr erfahren wird und stattdessen viel Freude und Glück. Sie ermöglicht uns, wirklich ein gutes und freudvolles Leben zu führen. Unser Leben ist eigentlich nur so kurz wie ein Traum, wenn man es im Verhältnis sieht zu den unzähligen Lebenszeiten, die man schon hinter sich hat und die man noch vor sich hat. In diesem Leben jetzt haben wir viele Möglichkeiten, das Dharma richtig zu praktizieren. Natürlich stehen wir aber auch im Leben und müssen viel arbeiten für den Lebensunterhalt. Deswegen ist es wichtig zu lernen, die Dharmapraxis mit der Art von Leben, die man führt und mit der Art von Arbeit, die man hat, zu verbinden, sie zu integrieren. Das bedeutet zum Beispiel, dass man sich Zeiten sucht, in denen man meditiert, was es auch immer an Praxis ist - seien es die Grundübungen, Meditationen auf Yidams oder auf den Lama. Dharmapraxis entwickelt die eigentlichen Werte im Leben. Man kann sie immer anwenden, in allen Lebensphasen, denn es ist ein Mittel, dass einem helfen kann auch schwierige Zeiten zu überwinden. Wenn jemand zum Beispiel wirklich keine Arbeit findet und auch keinerlei geistige Werte hat, an denen er sich orientieren kann, dreht er sich psychisch im Kreis. Viele Menschen haben damit wirklich große Probleme, die sich bis hin zu Geisteskrankheiten ausweiten können. Ein Dharma-Praktizierender in so einer Situation hat jedoch geistige Werte, an denen er sich orientiert, und konkrete Mittel, die er anwenden kann. Wichtig zu verstehen ist auch, dass Buddhaschaft nicht außerhalb von einem selbst ist. Es ist nicht weit entfernt, sondern immer schon als Potenzial in uns vorhanden. Bisher war man sich nicht bewusst darüber, dass man eigentlich ein vollkommener Buddha ist. Schon die Grundübungen zielen darauf ab, dass man Verdienst aufbaut, sich Freiraum schafft und gleichzeitig die negativen Eindrücke im Geist in so einem Ausmaß entfernt, dass man mehr und mehr fähig wird, dieses einem selbst innewohnende Buddhapotential zu erkennen. Der Nutzen der Dharmapraxis lässt sich oft gut bei alten Menschen beobachten. Die Menschen, die nicht Dharma praktizieren, warten oft eigentlich nur darauf, dass der Tag vorbei geht. Ihr Leben hat nicht mehr die Frische, die es einmal hatte. Selbst das Essen schmeckt nicht mehr, wenn man ein hohes Alter erreicht hat. Aber jemand, der Dharmapraxis gelernt hat, weiß, wie er dann meditieren kann. Oder wenn er nicht wirklich zu meditieren gelernt hat, hat er die Zeit um Mantras zu rezitieren. Vielleicht rezitiert er einfach den ganzen Tag Mantras wie Om Mane Peme Hung oder Karmapa Chenno. Aufgrund dieser spirituellen Praxis wird sein Geist froh sein, im Gegensatz zu jemandem, der einfach gar nichts tut. Langfristig gesehen wird jemand, der auch im Alter noch praktiziert, die Eindrücke im Geist aufbauen, die es ihm ermöglichen, nach dem Tod die Reinen Länder der Buddhas zu erfahren. Es geht vor allem darum, dass man richtig froh wird. Wenn man es schafft, allein schon nur ein bisschen froh zu sein, dann kann man auch das Dharma gut praktizieren. Und wenn man das Dharma gut praktiziert, dann kommt man immer näher an die Verwirklichung der Buddhaschaft. Natürlich können auch Dharma-Praktizierende psychische Probleme haben. Dafür kann es zwei Ursachen geben: die eine ist - wie vorhin erwähnt - karmisch bedingt. Es können alte, negative karmische Eindrücke im Geist ausbrechen. Aber es kann auch einen anderen Grund haben, nämlich falsch verstandene Meditation der Geistesruhe, des Shine. Bei der Shine-Praxis geht es darum, dass man fähig wird, den Geist in sich zu stabilisieren. Leute, die damit beginnen, haben dann aber oft die Erwartung, dass sie von heute auf morgen den Geist in seiner Ruhe erleben werden. Die Meditationen auf die verschiedenen Buddha-Aspekte - sei es die "Befreierin", "Liebevolle Augen" oder "Rote Weisheit" - werden verwendet, um den Geist allmählich dahin zu führen, dass man den Kern der Praxis richtig anwenden kann. Diese sogenannte "Yidam-Praxis" hat noch einen zusätzlichen großen Nutzen, nämlich dass man durch die Identifikation mit den Yidams ihre Inspiration bekommt. Das gibt einen starken positiven Schub für die eigene Entwicklung und verstärkt die Fähigkeit, den Geist in seiner Ruhe oder Klarheit erleben zu können. Man muss die eigene Praxis richtig verstehen und sie im richtigen Maß einsetzen können, um sicher die richtige Wirkung zu erreichen. Um wirklich gut praktizieren zu können, ist es vor allem auch wichtig, dass man es mit einem frohen Geist tut, und das Allerwichtigste ist immer die Motivation. Deswegen solltet ihr darauf achten, mehr und mehr den Erleuchtungsgeist in euch entstehen zu lassen. Das bedeutet, einen liebevollen Geist zu haben und anderen gegenüber mitfühlend zu sein. Auf dieser Grundlage benutzt man dann die diversen Methoden, wie das Geistestraining, Yidam-Meditation oder die Meditation von Geben und Nehmen, die übrigens besonders leicht anzuwenden ist und einen riesigen Nutzen hat. Der beste spirituelle Freund bei der Praxis sind eigentlich Hindernisse und schwierige Bedingungen. Wenn man im Leben Schwierigkeiten hat, reagiert man natürlich darauf, man macht sich Sorgen, ist bedrückt usw. Aber es ist sehr wichtig, dass man lernt so mit ihnen umzugehen, dass sie zum Weg werden. Wenn man zum Beispiel mit jemandem Streit hat, reagiert man dann nicht aggressiv, sondern versucht mit einer liebevollen Geisteshaltung sich daran zu erinnern, dass diese Person sich nur deswegen so schlecht benimmt, weil man wahrscheinlich selbst früher negativ ihr gegenüber war. Man erinnert sich, dass viele Wesen das Karma für ähnliche Schwierigkeiten haben und man wünscht, dass ihr Karma in der eigenen Schwierigkeit zur Reife kommen möge. Lopön Tsechu Rinpoche wurde 1918 in Bhutan geboren. Er war einer der wenigen großen Meditationsmeister, die eine vollständige und umfassende Ausbildung in Nepal und Bhutan erhalten haben. Der 16. Gyalwa Karmapa war einer seiner wichtigsten Lehrer. Aufgrund seiner sich über mehrere Jahrzehnte erstreckenden großen Aktivität galt Lopön Tsechu Rinpoche als eine Schlüsselfigur für den Zusammenhalt der unterschiedlichen buddhistischen Gemeinschaften in Nepal und der gesamten Himalaya-Region. |
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