Leben und Arbeit im DharmazentrumVon Lama Jigme RinpocheDas Bellevue ist ein sehr guter Ort um ihn als Retreatstelle zu verwenden. Da es als Hotel gebaut wurde, besitzt es schon alle Ausstattungen, die man braucht. Auch von seiner Lage her macht es sehr viel Sinn an diesem Platz zu meditieren. Tibeter sind zwar nicht so extrem wie Chinesen, die viel mit Feng Shui arbeiten und schauen, wie die Elemente an einem Ort zusammenspielen und man sollte da auch nicht zuviel Kraft hinein geben. Aber auf der relativen Ebene kann man schon sehen, dass allein eine Landschaft die Meditation sehr stark beeinflussen kann, dass die Art, wie die Elemente (Erde, Wasser, Luft usw.) an einem Ort zusammenspielen, ganz starken Einfluss auf den Geist nehmen kann. Das Bellevue liegt sehr günstig, da es nach Süden blickt und ein See und Berge vorhanden sind, was sehr viel Ruhe im Geist entstehen lassen kann. Zugleich ist es nicht weit weg von der Stadt und sehr leicht erreichbar, was für uns ja sehr wichtig ist. So wird die Stelle nicht nur für die Schweiz von Nutzen sein, sondern für alle Zentren, die die Stelle nutzen wollen. Man hat vielleicht manchmal falsche Vorstellungen und meint, wie früher in Tibet, weit weg von jeglicher Zivilisation gehen zu müssen, um dauerhaft mit dem Geist arbeiten zu können. In Tibet war es eigentlich gar nicht wichtig, denn wo man auch hinging, man war immer alleine. Man soll da nicht extrem sein, sondern einfach einen ruhigen Ort finden, wo nicht zuviel Ablenkung oder Einflüsse von außen vorhanden sind. Aber gleichzeitig braucht man sich nicht völlig vom Anschluss an die Stadt abzuschneiden. Es ist wichtig, dass wir diese Retreatstelle als Ganzheit sehen. Wir sollen nicht nur hingehen und unsere eigene Praxis machen und dann wieder weggehen. Wir sollten auch die Gartenarbeit, das Saubermachen und das Kochen als einen Teil der Zurückziehung sehen. Es ist wichtig, dass man daran teilnimmt, denn man unterstützt damit ganz stark die Meditation, die man in der Zurückziehung macht. Karmapa hat uns in Rumtek immer wieder gesagt, wir sollen uns nicht einfach nur hinsetzen, uns von der Meditation gefangen nehmen lassen und das als unsere Hauptpraxis sehen. Auch das Helfen und das Instandhalten der Stelle in der Nachmeditation sei ganz wichtig. Man soll mit dem Körper aktiv sein und damit negatives Karma abbauen, womit man wieder ganz stark Einfluss auf die Resultate in der Meditation nehmen kann. Man sollte auch nicht zu stark in Kategorien denken. Normalerweise übertragen wir die Gewohnheit in Kategorien zu denken aus unserem Beruf auf die Zentrumsarbeit. Wir machen Unterschiede in der Wertigkeit und in den Resultaten, was wirklich für die Wesen von dauerhaftem Wert ist. Wir denken vielleicht, dass derjenige, der Toiletten putzt, weniger wichtig ist als derjenige, der die Organisationsarbeit im Büro macht. Karmapa hat immer wieder darauf bestanden, dass es in dieser Hinsicht keine Unterschiede gibt. Wenn wir uns in Dharmaarbeit integrieren, kommen exakt die gleichen Resultate, egal ob wir die Toilette putzen oder im Büro arbeiten. Man sollte ganz frei von diesen Konzepten sein und nicht bewerten, was man tut, sondern einfach schauen, was gerade notwendig ist und gebraucht wird, und das tut man dann. Wenn aber mal gar nichts zu tun ist, sollte man nicht auf einmal zwanghaft Dinge und Projekte entstehen lassen, nur um unbedingt etwas zu tun. Man kann sich zwischendurch ruhig entspannen, wenn nichts zu tun ist. Man sollte auch keine Jobs extra schaffen oder irgendwas Unnötiges tun, nur weil man wichtig sein möchte und meint, man sei sonst nicht in die Arbeit integriert. Verdienst aufbauen ist sehr hilfreich, aber man sollte immer schauen, ob die Arbeit auch gebraucht wird, ohne zu stark in Konzepte zu verfallen und in mehr oder weniger Wert zu unterscheiden. Es ist sehr wichtig, dass wir diese Stelle auch nutzen. Indem wir hingehen und meditieren, uns in Zurückziehung und Meditation üben, machen wir diese Stelle wirklich zu einem Segensträger und einer Bodhisattvastelle, die mit der Kraft der Linie aufgeladen wird. Der 17. Karmapa wird die Stelle besuchen und seinen Segen, seine Kraft und seine Wünsche dorthin bringen und ein Kraftfeld aufbauen, damit verschiedene Qualitäten entwickelt werden. Aber noch wichtiger ist, dass wir hinterher die Stelle auch nutzen und dieses Kraftfeld weiter ausbauen und halten können. Wenn wir zum Beispiel eine Pilgerreise in Indien machen, besuchen wir da besondere Kraftplätze um sie kennen zu lernen. Aber diese Kraftplätze sind ja auch irgendwann in der Geschichte entstanden. Guru Rinpoche hat sie begründet, an den Stellen meditiert und seine Kraft gegeben, und dann haben verschiedene Praktizierende diese Stellen immer wieder genutzt und für ihren eigenen Entwicklungsweg verwendet, immer in Verbindung mit Karmapa und dem Segenskreis des Lehrers. Es wird dann auch unsere Aufgabe sein, diese Stelle zu nutzen, dieses Kraftfeld auszubreiten und einen ganz starken, segensreichen Platz daraus werden zu lassen. Wenn wir an dieser Arbeit teilnehmen und diese Stelle unterstützen, ist die Sichtweise wichtig, dass diese Unterstützung nicht zeitlich begrenzt ist. Im Alltag tun wir etwas und wenn wir es geschafft haben, ist der Prozess abgeschlossen. Aber beim Aufbau einer Retreatstelle ist es so, dass dieser Prozess des Kraftaufbaus niemals abgeschlossen ist. Er wird nicht in einer Lebenszeit vollführt werden, sondern über viele Lebenszeiten andauern, indem man immer wieder die Verbindung zu Karmapa hält und diesen Kraftkreis aufbaut. Es ist ja auch nicht sicher, ob wir Karmapa in diesem Leben zum ersten Mal treffen und die Verbindung zu seinem Kraftkreis machen. Vielleicht kennen wir ihn schon aus dem letzten Leben und arbeiten einfach kontinuierlich daran weiter diese Verbindung aufrecht zu erhalten und seine Wünsche zu erfüllen. Rumtek war damals kein funktionierender Klosterbetrieb, sondern wurde gerade erst aufgebaut. Die ganze Sangha lebte um Karmapa herum an diesem Ort und begann, wieder einen funktionsfähigen Klosterbetrieb in Gang zu setzen. Karmapa betonte dabei immer wieder, den Schwerpunkt nicht auf eigene Wünsche und Ich-Vorstellungen zu setzen, sondern bei allem, was man tut, immer wieder das „Wir“ hervorzuheben. Wenn man „Wir“ denkt und was man als Gruppe von Freunden gemeinsam schaffen kann, haben die Resultate längeren Bestand. Wenn man an sich selber denkt und eigene Wünsche verfolgt, sind diese sehr schnell veränderbar und auch sehr angreifbar, sie können leicht zerstört werden. Aber wenn man gemeinsam ein großes Ziel hat, etwas für andere zu tun, dann ist das, was man gemeinsam aufbauen kann, nicht nur für einen selbst von Vorteil, sondern es wird über diese Gruppe hinaus vielen anderen Wesen Vorteil bringen und lange Bestand haben.
Jigme Rinpoche ist ein verwirklichter Meister der Karma-Kagyü-Linie und ein Neffe des 16. Karmapa. Er wurde vom 16. Karmapa als sein europäischer Stellvertreter eingesetzt. Jigme Rinpoche wurde 1949 in Osttibet geboren. 1955 zog er nach Tsurphu, dem Hauptzentrum der Karma-Kagyü-Linie in Tibet. 1959 floh er zusammen mit dem 16. Karmapa vor den chinesichen Kommunisten aus Tibet und lebte anschließend viele Jahre in Rumtek/Sikkim. Seit 1975 leitet er das Zentrum Dhagpo Kagyü Ling in Südfrankreich. |
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