Aus: Buddhismus Heute Nr. 37, ( 2004)

Die Aktivität von Lopön Tsechu Rinpoche

Von Maggy Lehnert-Kossowski

Zusammengestellt aus zwei Vorträgen einen in Kuchary/Polen im August 2003, der andere in Benalmádena/Spanien im Oktober 2003.


Lopön Tsechu Rinpoche wurde 1918 in der Nähe von Punakha - der zweitgrößten Stadt Bhutans, für unsere Verhältnisse eher eine Kleinstadt - geboren. Bhutan selbst ist ein einzigartiges Land, eine echte buddhistische Monarchie. Das Land hat nur ca. 700.000 Einwohner und Buddhismus ist seine offizielle Religion. Sie wurde den Menschen Bhutans nicht aufgezwungen, sondern ist ihre Lebensphilosophie sie leben und atmen es. Wenn man dort reist, fühlt man sich wie durch eine Zeitmaschine hunderte von Jahren in die Vergangenheit zurückversetzt. Alles sieht noch so aus wie vor ungefähr 400 Jahren: Die Menschen tragen ihre traditionellen bhutanesischen Gewänder und die Kultur und Religion dieser Himalaya-Region blieben unberührt. Erst vor vier Jahren wurden in Bhutan Internet und TV eingeführt und erst vor etwa zehn Jahren öffnete sich das Land dem Tourismus. Davor hatten nur ca. 6.000 bis 7.000 Touristen Bhutan besucht.

Als Tsechu Rinpoche dort vor 85 Jahren geboren wurde, war das Land also völlig gegenüber äußeren Einflüssen verschlossen und ein reines Modell des traditionellen tibetischen Buddhismus. Selbst heute noch hat man beim Betreten des Landes das Gefühl, in ein Reines Land zu kommen Guru Rinpoche ist allgegenwärtig.
Tsechu Rinpoches Familie kam aus Ostbhutan. Er wurde geboren und verbrachte seine ersten Jahre in einem Dorf namens Nobugang; sein Vater war der Bürgermeister dieses Dorfes. Als er ungefähr zehn Jahre alt war, brach eine Seuche aus, die innerhalb von zwei Wochen zwanzig seiner Familienangehörigen das Leben kostete. Nachdem auch sein Vater dieser Krankheit erlegen war, beschloss die Mutter, die Gegend zu verlassen um die Kinder zu retten. Die Familie ging nach Nepal, wo Rinpoches Onkel selbst ein großer Lama lebte.
Zu dieser Zeit gab es keine direkte Straße zwischen Bhutan und Nepal; Mutter und Kinder waren also gezwungen über Tibet zu reisen. Deswegen dauerte die Reise ungefähr vier Monate. Die Familie überquerte zu Fuß die hohen Berge. Sie hatten kein Geld und nichts zu essen und der einzige Weg zu überleben war, um ihr Essen zu betteln. In unserer Kultur ist Betteln nicht gut angesehen, aber zu jener Zeit in Asien war es etwas recht Normales. Rinpoches Schwester erzählte mir jedoch einmal, dass gelegentlich die Hunde auf sie losgelassen wurden, statt dass man ihnen Essen gab. Unter solchen Umständen war die Reise also sehr anstrengend. Rinpoche war zu der Zeit zehn Jahre alt und als das älteste der Kinder trug er seine vier Jahre alte Schwester auf den Schultern. Seine Mutter trug seinen Bruder, der noch ein Baby war.

In all den Jahren, die ich mit Rinpoche verbrachte, sind wir sehr viel gereist. Nach einer anstrengenden Reise sagte er einmal, dass keine dieser Reisen damit vergleichbar wäre, was er als kleines Kind erlebt hatte. Es waren nicht nur Härten, sondern auch Gefahren, die den Reisenden erwarteten. Ich habe diese Geschichten übrigens noch nie jemanden erzählt, denn Rinpoche war ein sehr bescheidener Mensch und wollte nicht, dass andere über sein Leben reden, ganz gleich wie außergewöhnlich es war.
Rinpoche war von Geburt kein anerkannter Tulku. Nichtsdestotrotz konnte seine Familie seine besonderen Qualitäten nicht übersehen. Die Familie gelangte schließlich bei Rinpoches Onkel in Nepal an. Sein Name war Sherab Dorje und er sollte Rinpoches Wurzellama werden. Er war die Person, die auf Rinpoches Leben den stärksten Eindruck machte. Sherab Dorje war ebenfalls in Bhutan geboren worden und ging später nach Nepal. Seine Lebensgeschichte ist gleichermaßen faszinierend und obwohl wir noch nicht viel von ihm gehört haben, war er einer der berühmtesten buddhistischen Meister seiner Zeit.
Die ganze Himalayaregion ist ungemein gesegnet durch die Aktivität großartiger buddhistischer Meister. Wir vergessen oft, dass nicht nur auf der tibetischen Seite des Himalaya berühmte Verwirklicher lebten und lehrten, sondern auch in Nepal und Bhutan. So ist auch Nepal historisch ein äußerst wichtiger Platz für den Buddhismus.
Sherab Dorje legte das Schwergewicht auf Meditationspraxis und verbrachte viele Jahre in einsamen Zurückziehungen. Er meditierte nicht in Klöstern, sondern in Höhlen an heiligen Plätzen, wo zum Beispiel Milarepa und Guru Rinpoche praktiziert hatten. Seine Qualitäten sprachen sich im Laufe der Zeit herum und er fand sich bald umgeben von Praktizierenden, die ihn um Belehrungen und Einweihungen baten. Sherab Dorje baute fünf Mönchs- und Nonnenklöster in abgelegenen Gebieten des Himalaya. Unter diesen Umständen traf Rinpoche seinen Onkel. Kaum dass sie sich begegnet waren, begann Rinpoches intensives Meditationstraining. Die beiden praktizierten jahrelang in den Höhlen Milarepas und Guru Rinpoches. Sie übten Praktiken, von denen man nie etwas hört und die in keinen Texten erwähnt werden. Rinpoche erzählte mir einmal, dass sie monatelang von einem Löffel Wasser mit pulverisiertem Gestein pro Tag lebten. Um klarzumachen, dass Sherab Dorje nicht irgendein Lama aus dem Himalaya war, sondern ein großer Meister, der freiwillig die Einsamkeit der Berge suchte, möchte ich kurz seine Lebensgeschichte erzählen:
Sherab Dorje Rinpoche war einer der gelehrtesten Lamas seiner Zeit in Bhutan. Er hielt den Titel eines Khenpo, war aber zugleich ein hochrealisierter Praktizierender. Sowohl in Nepal als auch in Bhutan war er sehr berühmt. Bis vor kurzem lebten noch Leute, die sich daran erinnern konnten, wie er sich tatsächlich bei einer Einweihung in „Liebevolle Augen verwandelte. Vor über 100 Jahren bat der König von Nepal den König von Bhutan, die Swayambhu-Stupa zu renovieren. Der bhutanesische König suchte Sherab Dorje Rinpoche für diese Aufgabe aus und schickte ihn nach Kathmandu.
Swayambhu ist die älteste Stupa und das bedeutendste Monument der Erleuchtung in der Welt. Die Bücher sagen, sie sei vor 1.000 bis 2.000 Jahren erbaut worden, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Sie ist in dieser Zeit vielleicht restauriert worden, aber die Original-Stupa soll in dem Hügel versteckt sein, auf dem die sichtbaren Elemente stehen. Die ursprüngliche Stupa erschien spontan am Ende des letzten Kalpas auf einer Blüte auf einem wunscherfüllenden Baum. Der frühere Buddha Kashyapa nahm die Aufgabe auf sich, sie zu schützen, indem er sie bedeckte. Swayambhu wurde mehrmals renoviert und zuletzt eben durch Lama Sherab Dorje.
Lopön Tsechu Rinpoche sagte einmal, dass wir es der großartigen Arbeit von Lama Sherab Dorje zu verdanken haben, dass wir heute von der Stupa einen Nutzen haben. Die Renovierung der Stupa dauerte zwölf Jahre. Als sie fertig war, zog sich Sherab Dorje Rinpoche still in die Berge zurück und widmete den Rest seines Lebens der Praxis. Er kehrte nie nach Kathmandu zurück.
Sherab Dorje Rinpoche hatte durch diese Arbeit eine enge Verbindung zu den Königshäusern von Nepal und Bhutan. Lopön Tsechu Rinpoche führte diese Tradition fort, auch er hatte ein enges Verhältnis zu dem verstorbenen König von Nepal.

Als Lopön Tsechu Rinpoche 28 Jahre alt war, starb Sherab Dorje Rinpoche. Die Lehrer-Schüler-Verbindung zwischen den beiden war so stark, dass Rinpoche jedes Jahr den Todestag seines Onkels mit besonderen Pujas beging. Er sagte mir, dass - obwohl so viele Jahre seit dem Tod seines Wurzellamas vergangen seien - es nicht einen einzigen Tag gegeben habe, an dem er nicht an ihn gedacht habe. Gerade dieses Jahr noch hat Rinpoche mit mir eine Erinnerung an seinen Onkel geteilt. Er sagte, dass sein Onkel oft sehr streng mit ihm gewesen sei, obwohl er als Ausstrahlung von „Liebevolle Augen galt, seine Hauptpraxis eine „Liebevolle Augen-Praxis, nämlich das Nyungneh, war und er überhaupt ein besonders gütiger und mitfühlender Mensch war. So dachte Rinpoche, als er noch jung war. Aber nach dem Tod seines Lehrers erkannte Rinpoche, dass jede einzelne Bemerkung, dass alles, was sein Lama ihm sagte, in der Tat eine Belehrung war.
Bevor sein Onkel starb, wurde Rinpoche ab und zu von Nepal nach Bhutan geschickt um seine Erziehung zu vervollständigen. Auf einer dieser Reisen traf er den 16. Karmapa, der zu dieser Zeit erst 18 Jahre alt war. Rinpoche war zu der Zeit 24 Jahre alt. Karmapa war vom Königshof Bhutans eingeladen worden um Einweihungen zu geben. Es war zu der Zeit üblich, dass ein Meister wie Karmapa besondere Einweihungen nur der Königsfamilie, den Adligen und den höchsten Lamas gab. Andere erhielten nur eine einzige Einweihung, in der Regel eine Langlebens-Einweihung. Dank der Schwester des Königs, einer hingebungsvollen Schülerin Karmapas, wurde Rinpoche eingeladen, an einer Reihe sehr wichtiger Einweihungen teilzunehmen. So begann das Lehrer-Schüler-Verhältnis, und auch die Freundschaft, zwischen dem 16. Karmapa und Lopön Tsechu Rinpoche. Das Verhältnis vertiefte sich über die Jahre immer weiter. In seinem Zimmer in Kathmandu hatte Rinpoche ein Foto, das ihn zusammen mit dem 16. Karmapa zeigt. Das Foto trägt eine handschriftliche Notiz des 16. Karmapa. Ich fragte Rinpoche einmal, was dort geschrieben stehe, und es war etwas wie „Demjenigen, dem ich vertraue.
Tsechu Rinpoches Lehrer, Sherab Dorje Rinpoche, hatte vor allem Klöster in den Bergen gegründet. Er war ein großer Praktizierender und vertraute vor allem auf Praxis. Deswegen lagen seine Klöster in entlegenen Gebieten und die Mönche und Nonnen dort praktizierten sehr ernsthaft. Vor allem das Nyungneh, die Meditation auf den 1000-armigen „Liebevolle Augen wurde dort geübt. Da Sherab Dorje Rinpoche auch die Swayambhu-Stupa renoviert hatte, trug er auch die Verantwortung für ein kleines Kloster oben auf dem Hügel, direkt an der Stupa.
Nach dem Tod seines Onkels kehrte der junge Lopön Tsechu aus den Bergen nach Kathmandu zurück um die spirituellen und administrativen Aufgaben seines Lehrers zu übernehmen. Von dieser Zeit an widmete er sich der Dharma-Arbeit in Nepal.
Lopön Tsechu Rinpoche unterstützte die Entwicklung des Buddhismus in Nepal wie kein anderer Lama und half den verschiedenen buddhistischen Minderheiten. Diese hatten nicht so viele Rinpoches und Lehrer wie die Buddhisten in Tibet. Rinpoche begann, diesen Minderheiten zu helfen, sie zu einen, Belehrungen für sie zu organisieren. Er unterstützte den Bau von Schulen, Waisenhäusern, sogar von Brücken, denn die meisten dieser Minderheiten leben hoch im Himalaya in den Sherpa-Gebieten, wo sie große Schwierigkeiten haben mit dem Rest der Welt in Kontakt zu bleiben. Rinpoche ermöglichte auch den Bau einiger Kliniken.
Als in den späten 50-er Jahren die Probleme in Tibet immer mehr zunahmen, kamen immer mehr Rinpoches mit ihren Gemeinschaften über die Berge nach Nepal. Tsechu Rinpoche half ihnen, in Nepal ein neues Leben zu beginnen. Diese Leute waren manchmal mehrere Monate lang unterwegs gewesen. Sie hatten nur ein paar Sachen auf den Rücken ihrer Yaks dabei. In Nepal hatten sie kaum etwas um ein neues Leben zu beginnen. Sie hatten auch kein Land und keine Genehmigung um neue Klöster zu bauen, denn Nepal ist kein buddhistisches Land, sondern hinduistisch. Durch Rinpoches Intervention bei der Regierung und dem König Nepals, konnten langsam alle großen Rinpoches die Genehmigung bekommen, in Nepal zu bleiben, neue Klöster zu bauen und ihre Gemeinschaften zu holen. Es gab zu der Zeit nicht ein einziges Mönchs- oder Nonnenkloster, bei dessen Errichtung Rinpoche nicht beteiligt war. Erst mit 80 Jahren dachte er daran, ein eigenes Kloster zu bauen. Zuvor hatte er in einem gemieteten Haus gelebt, und war die ganze Zeit damit beschäftigt, anderen zu helfen. Erst dann baute er in Kathmandu sein eigenes Zentrum.
Alles in Kathmandu oder Nepal, das mit Dharma zu tun hat, war irgendwie mit Rinpoche verbunden. So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass er der erste Lama war, den Ole und Hannah trafen. Mit dem großen Segen Karmapas war es auch durch Lopön Tsechu Rinpoche möglich, dass sich die Aktivität von Ole und Hannah weltweit so dynamisch verbreitete und gedieh.
Die Tatsache, dass Karmapa Rinpoche bat, ihm Ole und Hannah als seine Schüler zu überlassen, beruht auf einer starken und alten Verbindung zwischen dem 16. Karmapa und Rinpoche. Der 16. Karmapa hatte Rinpoche fast jede existierende Einweihung der Karma Kagyü Linie übertragen. Eine von Rinpoches tiefgründigsten geistigen Erfahrungen war eine Reise mit Karmapa durch Indien auf einer buddhistischen Pilgerfahrt. Karmapa reiste zusammen mit vielen anderen hohen Lamas in einem besonderen Zug, der nur ihnen zur Verfügung stand. Es war ein großzügiges Geschenk der damaligen Premierministerin Indira Gandhi. Der Zug hielt überall an, wo Karmapa wollte, und für so lange, wie Karmapa es wünschte. Einen Monat lang teilte Rinpoche viele einzigartige Erfahrungen mit Gyalwa Karmapa.

1987 luden Ole und Hannah Rinpoche nach Europa ein und so begann sich seine Aktivität auch im Westen zu verbreiten. Es gibt eine Menge Geschichten über bemerkenswerte Ereignisse, die sich während seiner Besuche im Westen zutrugen. Rinpoche traf so viele Menschen und behandelte alle gleich, ob sie Könige waren oder Minister oder einfache Arbeiter. Rinpoche gelang es, dass alle sich ihm sofort nah fühlten und seine Wärme teilten. Ganz gleich, ob sie Buddhisten oder Nicht-Buddhisten waren, sagten die Leute, dass Rinpoche jemand sehr Besonderes sei, selbst wenn er manchmal gar nichts tat, als nur dazusitzen und nichts zu sagen. Er behandelte alle gleich, es machte keinen Unterschied, ob er eine Audienz mit der Königin Spaniens hatte oder mit einem seiner Schüler redete. Er war immer unwandelbar liebevoll zu allen. Rinpoche lernte tausende von Leuten von überall auf der Welt kennen.

Lopön Tsechu Rinpoche stand vollkommen hinter dem 17. Karmapa Thaye Dorje, genauso wie hinter Shamar Rinpoche und Lama Ole. Dies führte manchmal dazu, dass er kritisiert wurde. In all den Jahren, die wir zusammen gereist sind, habe ich ihn aber trotzdem nie irgendetwas Negatives über jemanden sagen hören.

Er war reine Magie – selbst die scheinbar einfachsten Dinge, die er sagte oder tat, wurden zu etwas Bedeutungsvollem.

Mit seinen Besuchen im Westen öffnete er die Herzen so vieler Menschen und gab ihnen viele Einweihungen. Er war auch der Lama, der Ole mehr als alle anderen unterstützte. Meistens musste er überhaupt nichts sagen, seine bloße Gegenwart und die Weise seines Handelns waren schon eine Belehrung in sich. Die von euch, die ihn nicht so gut persönlich kennen lernten, dachten vielleicht, dass er ein edler, alter Lama war. Aber wenn man ihn wirklich kannte, stellte man fest, dass er so viel mehr als das war. Er war die bewundernswürdigste und faszinierendste Persönlichkeit, die einem begegnen konnte. In seiner Gegenwart wurde irgendwie alles interessant. Er hatte auch einen großen Sinn für Humor und war sehr modern. Es war vielleicht nicht so leicht, es gleich zu sehen, aber Rinpoche verstand wirklich unsere westliche Mentalität.
Rinpoche provozierte manchmal die unmöglichsten Situationen. Wir flogen zum Beispiel 1993 zum ersten Mal nach Südamerika und waren an Bord einer Boing 747 auf dem Weg nach Venezuela. Rinpoche schlief in seinem Sitz, als die Stewardess mich fragte, wer er sei. Ich erklärte, dass Rinpoche ein hoher Lama sei und der Co-Pilot kam um sich über die Lehren Buddhas zu erkundigen. Zwanzig Minuten später bekam ich eine Flasche Champagner geschenkt und das nächste, was ich hörte war, dass die ganze Crew Zuflucht nehmen wollte. Ich weckte Rinpoche auf und bat ihn, ob er ihnen Zuflucht geben könne. Er war nicht einmal überrascht. So reihte sich die gesamte zwölfköpfige Mannschaft vor der Piloten-Kabine auf, mit ihren Kappen unter dem Arm, und nahm 30.000 Fuß über dem Atlantik Zuflucht. Man stelle sich vor: Rinpoche hatte fest geschlafen, als sie ihre Entscheidung trafen.

Sein Kraftfeld war so stark, dass er nichts sagen oder tun musste er war einfach da.

Unser enger Freund Pedro war dabei und erlebte das alles mit; er bekam auch das meiste vom Champagner.
Bei einer anderen Gelegenheit besuchten wir Cuzco in Peru. Man sagte uns, dass der Bürgermeister Rinpoche die Ehren-Bürgerschaft verleihen wollte obwohl er ihn noch gar nicht kannte. Man ist sich dessen wohl nicht bewusst, aber seitdem ist Rinpoche ein Ehrenbürger der Stadt Cuzco. Zu jener Zeit kamen zwei Inka-Priester zu Fuß aus den Anden um Rinpoche zu treffen. Sie waren die letzten Halter ihrer Lehren und sprachen nicht einmal Spanisch. Ein Anthropologe der Universität von Cuzco kam als Übersetzer mit. Sie erbaten die Übertragung der Lehren Buddhas und versprachen, im Gegenzug Rinpoche all das Inka-Wissen zu übertragen. Für die Zeremonie wurden wir in einen Wald geführt, mit einem Kamera-Team im Schlepptau. Zuerst mussten wir der Sonne Ehre erweisen, was eine Stunde dauerte. Als wir gerade dachten, dass die Zeremonie zu Ende sei, forderten sie uns auf, den Berg zu verehren und das ganze Ritual ging wieder von vorne los. Zwei Stunden später wurden wir gebeten, dem Fluss unsere Ehrerbietung zu erweisen. Mittlerweile waren wir furchtbar durstig und hungrig, mussten aber noch den Wind und einen Baum ehren und es sollte noch eine Feuer-Verehrungs-Zeremonie kommen. Schließlich, nach vielen Stunden, begann die Zeremonie. Die Namen der Priester waren Don Carlos und Don Mario. Don Mario war ungefähr was Lama Kalsang für Rinpoche war, und Don Carlos war ihr „Rinpoche".

Ich übersetzte und machte einen großen Fehler: Ich sagte, dass Don Carlos zuerst seine Übertragung an Rinpoche geben würde und nicht umgekehrt. Don Carlos und Rinpoche standen sich gegenüber, berührten sich gegenseitig mit ihrer Stirn und warteten auf die Übertragung. Lichter, Kameras und das Fernsehteam war am Filmen. Alle standen still und nichts geschah. Zehn Minuten vergingen und ich sah Rinpoche ein Auge öffnen. Dann schloss er es schnell wieder. Dann sah ich Don Carlos schnell gucken und er schloss sein Auge auch wieder ganz schnell. Er dachte wohl, genau wie Rinpoche, dass die Übertragung gerade stattfand. Ich erkannte meinen Fehler, wir stoppten die Kameras und fingen noch einmal an, diesmal erfolgreich. So wurde Rinpoche ein Inka-Weisheitshalter und zum höchsten Inka-Priester ernannt.

Jeder Tag mit Rinpoche war voll und interessant. Ihr erinnert euch wohl vor allem daran, wie er sehr ernst auf seinem Thron saß und Einweihungen gab. Aber das war nur ein Aspekt seiner Persönlichkeit. Er war so faszinierend, dass sich alles um ihn herum die ganze Zeit in etwas Frisches und Aufregendes verwandelte. Es gab nicht einen Moment, wo man an ihn als einen alten Mann dachte. Ich hatte mit ihm die beste Zeit meines Lebens. Wir können uns wirklich besonders glücklich geehrt schätzen, Rinpoche getroffen zu haben und ihm so nahe gewesen zu sein. Die Liebe und Güte, die er ausstrahlte, war nicht etwas Aufgesetztes sondern sein ständiger Zustand.

Irgendwie hatte Rinpoche eine Schwäche für Spanisch sprechende Länder und für Polen. Wir können wirklich dankbar sein, dass er so viel seiner Zeit dem Westen widmete und dass er in seinen letzten Jahren die Hälfte seiner Zeit mit uns verbrachte. In Asien sind sich nur wenige bewusst, wie groß Rinpoches Aktivität im Westen war und wie sehr er hier geliebt wurde. Rinpoche selbst wiederum sprach nie über seine Arbeit in Asien, wenn er in Europa oder Amerika war. Er war so bescheiden, dass er auch nie seine Nähe zur königlichen Familie Bhutans erwähnte. Nicht einmal im Gespräch mit der Königin von Spanien erwähnte Rinpoche diese Tatsache. Er benutzte seinen Status niemals für seinen eigenen Nutzen.

Da ich Rinpoche persönlich so nahe war, vergaß ich manchmal, wie wichtig er war. Jedes Mal, wenn wir in Bhutan landeten, war der ganze Flughafen ihm zu Ehren mit Fahnen geschmückt. Es gab Soldaten als Ehrengarde und die königliche Familie kam um ihn zu begrüßen.
Zugleich erinnern sich einige Leute vielleicht daran, wie er mit seinen Schülern an einem Tisch saß und seine Suppe zu sich nahm, als einer von uns. Man spürt Rinpoches Segen die ganze Zeit, ob er hier ist oder nicht. Aber Rinpoche hinterließ auch etwas Sichtbares die Verkörperung seiner Aktivität in Form der 16 Stupas, die er in Europa und dem Kaukasus gebaut hatte. Die Stupa in Benalmadena ist die 17. und sie war für Rinpoche von höchster Wichtigkeit. Er legte größte Anstrengung in die Planung und den Bau und widmete ihr die letzten Gedanken seines Lebens.
Das Design entstand schon vor sechs Jahren in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung von Benalmadena. Die Stupa wurde für Rinpoche immer wichtiger und wichtiger. In den letzten Monaten seines Lebens fühlte er sich oft nicht gut. Aber wann immer es ihm etwas besser ging, sprach er über die Stupa. Sie war sein Stolz und seine Freude und er widmete sich dieser Aufgabe vollkommen. Rinpoche starb vier Monate vor der Einweihung der Stupa. Nichtsdestotrotz führte er den Bau in gewisser Weise zu Ende, denn obwohl es zum Zeitpunkt seines Todes noch immer viel zu tun gab, waren die grundlegenden Bauarbeiten fast abgeschlossen.
Künzig Shamar Rinpoche weihte die Stupa Anfang Oktober 2003 ein und in den Tagen davor gab Lama Ole Nydahl seinen ersten Milarepa-Kurs. In Benalmadena bei der Stupa spürt man überall Rinpoches Gegenwart. Vielleicht liegt es daran, dass er die Baustelle so häufig besucht hat und jeden Zentimeter und jedes Detail dort plante. Rinpoche sagte, dass eines Tages jemand vielleicht eine größere Stupa bauen werde. Aber am Tag der Einweihung war sie die größte Stupa in der westlichen Welt, ein Krönungs-Tribut an das Lebenswerk eines großartigen Lamas.

Zusammengestellt und aus dem Englischen übersetzt von Claudia Knoll und Detlev Göbel

Maggy Lehnert-Kossowski
Geboren in Polen, aufgewachsen in Südamerika, seit 16 Jahren deutsche Staatsbürgerschaft.
Wurde vor 22 Jahre Buddhistin, nach einem Treffen mit Lama Ole.
Traf Lopön Tsechu Rinpoche zuerst 1987. Seit 1991 reiste sie sehr viel mit ihm und half ihm in seiner Arbeit auf der ganzen Welt. Maggie: „Unsere Beziehung entwickelte sich über die Jahre zu einer sehr engen Lehrer-Schüler- und Vater-Tochter-Beziehung”.

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