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BUDDHISMUS HEUTE
Aus: Buddhismus Heute Nr. 36, (Herbst 2003)

"mingalaba" - Reisebericht aus Burma

Von Uschi Winterer

"Mingalaba! Möge Segen über Dich kommen"

So wird man in Myanmar - so heißt Birma/Burma heute - begrüßt. Und etwas Segen für unterwegs kann ja nie schaden. Es fällt mir nach einem längeren Aufenthalt jedoch recht schwer, die unübersehbaren Gegensätze angemessen zu beschreiben: einerseits ist Myanmar als eines der letzten noch traditionell-buddhistischen Länder ein verborgenes asiatisches Juwel voller Kulturschätze. Andererseits kann das freundliche Lächeln, das einem überall von einer noch tiefgläubig Buddhismus praktizierenden Bevölkerung entgegengebracht wird, nicht über die realen Lebensbedingungen hinwegtäuschen.

"... ich kann bald keine Buddhas mehr sehen ..." nach tagelangen Besichtigungstouren lässt sich mein Reisebegleiter sichtlich erschöpft auf der Sitzbank am Pagodenaufgang nieder. Denn wo findet man als interessierter Besucher oder Pilger-Tourist sonst noch ein Land mit offenbar mehr Pagoden, Tempeln und Buddhastatuen als Einwohner?

90% der ca. 50 Millionen Burmesen sind Theravada-Buddhisten und über eine halbe Million Menschen leben sogar als Mönch oder Nonne: von allen Bevölkerungsschichten - vom Reisbauern bis zum Diamantminenbesitzer - durch großzügige Spenden unterstützt. Wie sich Buddhismus hier auch im Alltag zeigt, hat etwas Anrührendes - das Mädchen an der Kasse wartet auf Kunden mit Mala in der Hand; frühmorgens verneigen sich die Bauarbeiter in Richtung Pagode, bevor sie mit ihrem harten Job beginnen; beim Vorbeigehen an der Hotel-Wäschekammer steht das Zimmermädchen andächtig auf dem Stuhl vor dem an höchster Stelle hängenden Buddhabild und der Taxifahrer faltet jedes Mal beim Vorbeifahren an der Shwedagon-Pagode die Hände vor der Brust, während aus dem Kassettenrecorder Dhamma-Musik tönt. Selbst die ganze Nacht hindurch schallen vom nächstgelegenen Kloster aus weithin hörbar per Lautsprecher Rezitationen der Lehren Buddhas in den letzten Winkel. Dass sich der Buddhismus sozusagen als Staatsreligion in seiner traditionellen Form erhalten konnte, liegt nicht zuletzt daran, dass Myanmar bis vor wenigen Jahren ein nach außen abgeschottetes und für Reisende sehr begrenzt zugängliches Land war, über das zudem wenig Positives berichtet wurde. Was die politischen und wirtschaftlichen Zustände betrifft, würde man einem buddhistischen Land gerne bessere Bedingungen wünschen: Nach Kolonialisierung durch die Engländer, Zweitem Weltkrieg mit japanischer Besatzung und Unabhängigkeit seit 1948 lebte das Land jahrelang in der Isolation eines so genannten "buddhistischen Kommunismus". Nach dem brutalst niedergeschlagenen Volksaufstand 1988 herrscht bis heute eine Militärregierung, die dem Land trotz schrittweiser Öffnungsbestrebungen wirtschaftliche Sanktionen und politische Isolation beschert hat. Auch die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi stammt als Tochter des Nationalhelden Aung San aus einer Generalsfamilie. Wie viel Rückhalt sie im eigenen Land nach jahrelangem Hausarrest oder überwachter Bewegungsfreiheit tatsächlich hat, darüber habe ich von burmesischer Seite sehr unterschiedliche Meinungen gehört. Die wenigsten Burmesen haben überhaupt eine Vorstellung davon, was Demokratie bedeuten könnte und sind - mit Blick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen im Nachbarland Thailand - eher skeptisch. Die jetzige Militärregierung ist ebenfalls intern gespalten in Vertreter, die durchaus für Reformen in Richtung schrittweise Demokratisierung stehen und unfähige erzkonservative Militärs, die ihre Pfründe für skrupellose Bereicherung, Luxusvilla mit Golfplatz und Edellimousinen unter allen Umständen sichern wollen. Burmesische TV-Programme und Zeitungen sind in der Berichterstattung über das eigene Land stark zensiert und erst kürzlich wurden die ersten (!) Internet-Cafes in Yangon eröffnet. Was der geneigte Leser und Zuschauer jedoch in ganzer Länge erfährt, ist das so genannte "rot-grün-Programm": Generäle (grün) werden von Mönchen (rot) gesegnet, woraufhin dann die Mönche von den Grünen wiederum Spenden entgegennehmen... man bekommt berechtigte Zweifel darüber, was hiervon noch Buddhismus oder eher Opium-fürs-Volk ist. Wobei das Stichwort "Opium" gleich nahtlos zu einem anderen undurchsichtigen Problem-Thema Burmas überleitet, das noch weiter von buddhistischen Inhalten wegführt. Derweil treibt das Land, das mit immensen Bodenschätzen und fruchtbarer Landwirtschaft eines der reichsten Südostasiens sein könnte, immer weiter an den wirtschaftlichen Abgrund. Mein Mitgefühl gilt hier vor allem der normalen Bevölkerung, der eine enorme Geduld und Leidensfähigkeit abverlangt wird. Wer die mit Hingabe vor den Buddhastatuen knienden Menschen näher betrachtet, spürt, wie sehr hier in erster Linie für besseres Überleben gebetet wird. Denn hinter dem freundlichen und noch von Herzen kommenden Lächeln der Burmesen sind viele Tränen verborgen, die man nicht mit "arm-aber-glücklich" weg idealisieren kann. Das Leiden hat nur ein anderes Gesicht als bei uns.

Wer bereit ist, sich Myanmar trotz der geschilderten Probleme unvoreingenommen und mit offenem Geist zu nähern, wird dessen ungeachtet den Segen eines Buddha-Landes mit dem vielerorts noch lebendigen ursprünglichen Charme Asiens erleben können. Bereits im Anflug auf Yangon (Rangoon) entdeckt man überall verstreut Pagoden, Stupas, Tempel, egal in welche Richtung man auch schaut.

Unter den vielen Pilgerorten Burmas hat mich die - sich im nächtlichen Scheinwerferlicht goldglänzend über Yangon erhebende - Shwedagon-Pagode schon beim ersten Blick in ihren Bann gezogen. Aufgebaut wie ein Mandala, erreicht man die obere Plattform durch überdachte Treppenaufgänge in den vier Himmelsrichtungen. Um die Gold bedeckte 326 Fuß hohe Stupa in der Mitte, deren Spitze mit Juwelen von unschätzbarem Wert besetzt ist, gruppieren sich Andachtshallen, Plätze mit so genannten "Lebendigen", weil sie besonders kraftvollen Buddhastatuen und kleineren Pagoden - eine davon der Bodhgaya-Stupa nachempfunden sind. Die Shwedagon soll nicht nur Haar-Reliquien, die bereits zu Buddhas Lebzeiten nach Burma gekommen sind, enthalten, sondern auch Reliquien der drei vorhergegangenen Buddhas. Die Ruhe, Kraft, Inspiration und Atmosphäre dieses so besonderen Platzes teilt man frühmorgens und abends mit zahlreichen burmesischen Vipassana Praktizierenden. Sie bedenken jeden Westler, der sich als Buddhist zu erkennen gibt, mit einem anerkennenden Kopfnicken, wenn man ebenfalls in einer Halle meditiert oder an bestimmten Segensplätzen Wunschgebete macht.

Ein weiterer sehr inspirierender Ort und eine herausragende Pilgerstelle für burmesische Buddhisten ist der "Goldene Felsen" Khyaikto, eine Tagesreise östlich von Yangon gelegen. Der Aufstieg als Treck ist steil und anstrengend, ebenso steil und nicht ganz ungefährlich die Fahrt auf der Ladefläche der Pickup-Lastwägen. Dass hier angeblich noch keine Unfälle vorkamen, liege eindeutig am starken Segen, der über diesem Gebiet liegt, meint mein burmesischer Freund und Reisebegleiter. Der ganz mit Blattgold überzogene Felsen balanciert in fragilem Gleichgewicht an höchster Stelle einer Gebirgskette - gehalten von einem Haar Buddhas. Myanmar wurde schon häufig von starken Erdbeben heimgesucht, daher haben die Wundergeschichten zur Entstehung dieses Platzes eine gewisse Überzeugungskraft. Ich habe die Schwingungen frühmorgens und zum Sonnenuntergang als etwas ganz Besonderes erlebt, Weite, Raum, Stille und Dankbarkeit für so viel Schönheit.

Es hat schon seinen eigenen Reiz - auch von der äußeren Umgebung her - so viele mit dem Dharma in Verbindung stehende Eindrücke aufzunehmen. Wenn man weiter durchs Land reist, begegnen einem auf Schritt und Tritt auf Befreiung und Erleuchtung hinweisende Symbole und Abbildungen aus dem Leben des historischen Buddha, dessen Lehre der Legende nach schon zu seinen Lebzeiten erstmals nach Myanmar kam. Es gibt Höhlen mit tausenden Buddhastatuen als "Buddhismus-Lehrpfad", die Episoden aus Buddhas Leben und Vorleben zeigen, neben vielen überzeugenden Beispielen von Meditationsergebnissen - auch aus jüngster Zeit. Wer die wundersamen Geschichten von fliegenden Arahats (Befreite, ins Nirvana Eingegangene) nicht so recht glauben mag, der kann die - nach dem Tod nicht zerfallenden - Körper von erst seit kurzem verstorbenen Sayadaws (verwirklichten Mönchen) mit eigenen Augen sehen, was als ein Beweis für den Grad der erreichten Verwirklichung gilt. Derartige kleine Wunder begegnen einem hier immer wieder: wie Reliquien von Meistern, die sich auf wundersame Weise vermehren und dergleichen mehr. Jedoch zeigen sich diese Wunder nur, "wenn man gut meditiert", meint der alte Mönch, der mir diesen Schatz zeigt.

Sich als Mahayana- und Vajrayana-Buddhist mit burmesischen Theravada- Praktizierenden über buddhistische Themen verständlich auszutauschen, ist gar nicht so einfach. Das liegt nicht nur an den unterschiedlichen Wegen und Zielen. Da alle buddhistischen Fachwörter in Pali (altindischer Dialekt; der Überlieferung nach die Sprache, die Buddha selbst benutzt haben soll) gehalten sind, muss man sich erst mal mit einigen Grundbegriffen neu vertraut machen. Auch im modernen Burmesisch finden sich viele aus dem Pali stammende Worte, wobei das Alphabet mit seinen runden Buchstaben - oft beschrieben als "Seifenblasenschrift" - in seinem Aufbau sehr dem Tibetischen ähnelt und keine Verwandtschaft mit dem Chinesischen oder Thai aufweist.

Die archäologische Zone Bagan - die man in einer eintägigen, entspannenden Schiffsreise auf dem gemächlich dahinfließendem Irreyawaddy von Mandalay aus erreicht - ist zu Recht eine viel besuchte Touristendestination. Über 4.000 Stupas und Pagoden erheben sich in ständig wechselndem Licht aus den Morgennebeln den Versuch, die Magie dieses einzigartigen Eindrucks per Foto festzuhalten, habe ich nach kurzer Zeit aufgegeben und mich nur einfach still hingesetzt. Die mit UNESCO-Unterstützung restaurierten Wandgemälde in einigen Tempelanlagen zeigen auch Abbildungen von Bodhisattvas, ein klarer Hinweis darauf, dass Mahayana- und - wissenschaftlichen Abhandlungen zufolge - auch Vajrayana-Buddhismus hier verbreitet waren. Erst im 11. Jahrhundert unter König Anawratha - beraten durch den Theravada-Mönch und burmesischen Nationalheiligen Shin Arahan -  wurde Theravada, fußend auf dem Palikanon, zur einzig zulässigen buddhistischen Richtung von Staats wegen erklärt.

Die Erhaltung des Theravada-Buddhismus ist bis heute ein nationales Anliegen Myanmars. Vom einflussreichen Religionsministerium wird unter anderem die "International Theravada Buddhist Missionary University" sichtlich großzügigst gefördert. Über die Bezeichnung "Missionary" etwas verwundert, wird mir erklärt, dass hier Mönche als Teil der Ausbildung in die unruhigen Grenzgebiete Myanmars entsandt werden, um animistisch-schamanistische Minderheiten zu belehren, jedoch auch, um ein Gegengewicht zur Christianisierung zu schaffen; denn hinter mancher in Burma tätigen Hilfsorganisation stehen über die reine Hilfeleistung hinausgehende Absichten und Interessen. Offiziell herrscht in Burma Religionsfreiheit. Als eindrückliches Beispiel dafür wird immer wieder das Zentrum Yangons angeführt, wo in der Mitte die Sule-Pagode steht - neben Moschee, Kirche, indischem Tempel und Synagoge. Im Telefonbuch sind gleich über zwei Spalten hinweg christliche Kirchen aller Richtungen aufgelistet. Aus privaten Gesprächen habe ich aber erfahren, dass es auch in Burma wachsende Probleme mit der islamischen Minderheit gibt, insbesondere in den Grenzgebieten zum heillos überbevölkerten Nachbarland Bangladesh.

Trotz aller Widersprüche: für die burmesische Bevölkerung ist der Alltag tief durch den Buddhismus geprägt. Das zeigt sich für Besucher auch in kleinen Begebenheiten, wie dem ehrlichen Taxifahrer, der den angebotenen Fahrpreis nach unten hin korrigiert und dem Polizeibeamten, der die vor der Pagode vergessenen Schuhe eines Touristen höchstpersönlich ins Hotel zurückbringt. Eine zweifellos verdienstvolle Handlung, die gutes Kamma nach sich zieht. Auch der junge Hotel-Angestellte mit ganz kurzem Haar folgt hiermit nicht einem Modetrend, sondern war gerade für einige Zeit in einem Meditationszentrum. Der Aufenthalt in einem Kloster oder Meditationszentrum ist - auch für Westler - kostenlos. Das heißt, man gibt eine Spende nach eigenem Ermessen und Möglichkeiten. Die Schwerpunkte liegen hier auf Theravada-Vipassana (Geistesruhe und Einsicht), wie unter anderem von der Mahasi oder Mogok- Schule gelehrt. Die Programme stellen jedoch hohe Anforderungen an die Einhaltung von Disziplin und Regeln und nicht jeder Westler fühlt sich in einer, auf monastische Tradition ausgerichteten, Umgebung richtig am Platze. Man kann auch studieren, wobei die Kenntnis der komplexen Abhidhamma-Belehrungen zu den Spezialgebieten burmesischer Theravada-Meister gehört. Für die asiatische Lernmethode, die in der Schule sowie Universität vor allem in Auswendiglernen besteht, sind die landesweit abgehaltenen Tripitaka-Prüfungen eine beeindruckende Demonstration: Die Kandidaten haben den gesamten Palikanon von immerhin gut 16.000 Seiten Inhalt auswendig gelernt und tragen dies in einer mehrwöchigen Prüfung nebst Fragenstellungen zum Inhalt vor. Derzeit gäbe es neun Kandidaten, die diese Aufgabe mit Erfolg bewältigt haben - auch das kann als ein Aspekt der unbegrenzten Fähigkeiten des Geistes gesehen werden. Im Alltag wird Buddhismus vor allem in Form von Spenden der Bevölkerung für religiöse Einrichtungen und die allgegenwärtigen Almosengänge der Mönche und Nonnen praktiziert. Die adrett in Rosa gekleideten Nonnen haben aber bei weitem nicht den Status eines Mönchs, was geringere Spendenunterstützung zur Folge hat. Die in Burma verbreitete traditionell-buddhistische Lehrmeinung, dass Frauen in diesem Leben vor allem gute Werke tun sollten, um dann in einer besseren Wiedergeburt als Mann ebenfalls Befreiung erlangen zu können, ist ein weiteres Paradox. Tatsächlich haben Frauen in Myanmar einen - für ein asiatisches Land ungewöhnlich hohen Status und genießen gesellschaftliche Anerkennung, was wohl ebenfalls auf die buddhistische Grundeinstellung zurückgeführt werden kann. Inwieweit diese Lehrmeinungen wirklich direkt auf Buddha zurückgehen, ist ein umstrittenes Thema, worüber man im Gespräch mit selbstständigen und gebildeten burmesischen Frauen besser nicht zu sehr aus westlicher Sicht kommend diskutieren sollte. Aber auch unsere europäischen Männer finden an traditionellen Riten durchaus Gefallen: Als die Reiseleiterin beim Betreten des Mahamuni-Tempels in Mandalay (ein weiteres Nationalheiligtum) ihrer Schweizer Reisegruppe erklärt, dass nur Männer den inneren Teil betreten dürfen, lächeln viele der männlichen Gruppenmitglieder in leiser Freude über diese im Westen so schmerzlich verloren gegangenen Männerfreiräume...

Myanmar /Burma zu bereisen ist wegen der mangelhaften Infrastruktur nicht ganz einfach, jedoch ungewöhnlich vielfältig: Trotz einiger Baubemühungen hier und da, kann man sich unterwegs in Myanmar des Eindrucks nicht erwehren, dass sich das Straßen- und Eisenbahnnetz in weiten Teilen des Landes nach wie vor auf dem Stand von 1945 befindet. Dafür kann man aber eine bunte Vielzahl an Verkehrsmitteln nutzen. Offene Pickup-Busse mit Steh- oder Sitzplatz auf dem Dach, aus dem Industriemuseum entsprungene Schmalspur-Eisenbahnen, die man nach einer schwankenden Nachtfahrt seekrank verlässt. Dampfradschiffe auf dem langsam dahinfließenden Irreyawaddy, wobei ständig die Wassertiefe mit Bambusstangen ausgelotet wird, um nicht auf die nächste Sandbank aufzulaufen. Man kann mit dem Fahrrad selbst tagelang die über 4000 Pagoden Bagans erkunden oder auf eine Pferdekutsche steigen. Behütet mit Wehrmachtshelm nach urdeutschem Vorbild, wird man flott auf dem Motorradrücksitz durch die Marktstände bugsiert oder man zwängt sich in den Sidecar einer Trishaw, ständig im Zweifel, ob man vielleicht besser selbst in die Pedale treten sollte, anstelle des dünnen Rikshawfahrers. Wen derartige Skrupel nicht plagen, kann sich sogar von vier drahtigen Trägern im Liegestuhl zum Goldenen Felsen im Südosten des Landes den steilen Berg hinauf tragen lassen. Die Entscheidung für einen kurzen Flug mit den robust auf Sicht geflogenen Propellermaschinen ist in vielen Fällen die bessere Alternative zur Nachtfahrt auf schmalen und nicht ganz ungefährlichen Straßen mit dem Überlandbus. Aber sicher, man kann ja auch einfach zu Fuß gehen, das bedeutet in Burma meist: barfuß. Denn schon im Eingangsbereich einer jeden Pagoden- oder Klosteranlage lässt man die Schuhe stehen und geht über kühle Fliesen oder wie Touristengruppen zur Mittagszeit auf sonnenheißem Marmor hüpfend im Uhrzeigersinn rund um das Heiligtum. Man kann sich auch für ganze Tage relativ günstig ein Taxi oder Auto mit Fahrer mieten, Tanken ist kein Problem, da Benzin vielerorts direkt am Straßenrand frei verkauft wird. Oder man wechselt auf die Nebenspur und kommt auch mit dem Ochsenkarren langsam aber sicher voran. Wobei uns der freundliche Bauer ein paar gute Wünsche auf den Weg geben wollte und meint: "Next time you come back in a better car!" Ja, machen wir, so gut es eben geht. Vielleicht im unverwüstlichen 40er-Jahre-Lastwagen oder einem in Eigenbau hergestellten Unikat - Wirtschaftssanktionen machen erfinderisch - und sorgen für preiswertere Alternativen zu den weit jenseits Schrottreife immer noch zu Höchstpreisen gehandelten japanischen Gebrauchtwagen.

Von den unzähligen Kulturdenkmälern mal ganz abgesehen bezaubert Burma auch durch seine vielfältigen Landschaften, Farben und Stimmungen. Im Süden: endlose Reisanbauflächen des Irreyawaddy-Deltas und Himalaya-Sechstausender im hohen Norden: steppenähnliches Klima in der Ebene um die archäologische Zone Bagan und Mandalay und nur wenig entfernt davon: bereits die gemäßigt kühle Shan-Bergregion, voller Blüten in klaren Frühlingstönen, neben dunkelrot, erdfarbenen Feldern. Man kann in Ngapali am Golf von Bengalen kilometerlang über noch fast menschenleere Sandstrände gehen, umgeben von den sanften Hügeln des Rakhine-Staates. In den weiträumig, undurchdringlichen Dschungelregionen kann man erleben, wie mit Elefanten Teakholz transportiert wird, oder man kann durch die Morgennebel auf dem Inle-See per Boot die Pfahldörfer der beinrudernden Fischer und Handwerkskünstler bestaunen. Je nach Zeit und Reise-Intention ist es möglich, jeden Tag in eine neue Umgebung einzutauchen. Oder man entschließt sich für länger an einem Platz zu bleiben und sich auf den gelassenen Rhythmus des burmesischen Lebensstils einzulassen, bereichert durch die ethnische Vielfalt von offiziell 135 registrierten Bevölkerungsgruppen und Minderheiten. Es fällt auch angenehm auf, dass es hier noch viel weites, freies Land und offenbar genug Reisfelder für alle gibt.

Die einfachen Bambushütten links und rechts der Strasse wirken zwar arm, aber nicht elend. Reisbauern können sich auch ohne Geld selbst versorgen, so dass sich Armut und Reichtum nicht eindeutig in Zahlen und Statistiken darstellen lassen. Spätestens zurück in der Hauptstadt Yangon wird klar: dies kann kein armes Land sein! Die Gegensätze könnten größer nicht sein denn Luxus-Immobilien, prunkig-plüschige Sitzmöbel und teure Landcruiser erfreuen sich reger Nachfrage, und Verkehrsstaus gehören seit kurzem ebenfalls zum Stadtbild.

Burma hinterlässt einen zutiefst widersprüchlichen Eindruck, der einen so schnell nicht wieder loslässt - gepaart mit so viel Schönheit, buddhistischer Kultur und liebenswerten Menschen. Ich habe Myanmar am Ende meines Aufenthalts mit einem tiefen Seufzer und feuchten Augen verlassen ... Mingalaba!


Uschi Winterer
Verlagskauffrau in München
seit 1989 Schülerin von Lama Ole
Russland-, China- und SO-Asien süchtig
ab Ende 2002 in Burma