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BUDDHISMUS HEUTE
Aus: Buddhismus Heute Nr. 35, (Winter/Frühjahr 2003)

Den Wesen nutzen...

Ein Interview mit Caty Hartung

Seit über zwölf Jahren teilt Caty Hartung Lama Ole Nydahls Leben. Einen Großteil des Jahres, wenn Hannah Nydahl mit Aufgaben rund um die Welt beschäftigt ist, reist und lebt Caty mit Lama Ole und unterstützt und inspiriert seine Arbeit auf vielen Ebenen. Frische Ideen und umfangreiche Erneuerungen in Organisation und Struktur haben wir ihr über all die Jahre zu verdanken.

Liebe Caty, viele kennen dich ja nur in deiner organisatorischen Rolle, vor allem wenn du mit Ole reist, kannst du uns etwas mehr zu deiner Person erzählen?
Ich bin 1965 in Solingen geboren und hatte ganz wunderbare Eltern und einen zwei Jahre älteren Bruder. Meine Kindheit und Jugend wurde vor allen Dingen durch Leistungsschwimmen geprägt. Wir zogen damals jedes Wochenende als Gruppe im VW-Bus durch Europa zu den Sportwettkämpfen. Dabei gehörte Reisen, Packen und Schlafen in den unterschiedlichsten Jugendherbergen, Hotels oder im Auto einfach dazu. Man kann fast sagen, dass ich bereits damals alles, was ich jetzt mache, schon mal ausprobiert habe. Später habe ich in Hamburg Sport, Französisch und Pädagogik studiert. Ich wollte immer gerne Lehrerin werden. Ich lebte sechs Jahre mit einem tollen Mann, Henning, in besten "bürgerlichen" Verhältnissen in Hamburg zusammen, war Studentin, Hausfrau und gab verschiedenste Sportkurse für Jung und Alt. Dann ging ich für ein Jahr nach Paris und beendete mein Studium mit dem ersten Staatsexamen.

Wie bist du zum Buddhismus gekommen?
Im ersten Semester in Hamburg arbeitete ich in einem Café und lernte dort die ersten Buddhisten kennen. Sie machten mich neugierig, sie waren irgendwie netter, großzügiger. Sie hatten alle ein rotes Band ums Handgelenk und wohnten in einer Wohngemeinschaft. Barbara Temelie hat zu der Zeit (1984) in Hamburg Tai Chi Kurse gegeben und ich nahm an einem ihrer Kurse teil. Sie fanden in dem selben Gebäude eine Stunde vor der Meditation statt und so lag es nahe, im Anschluss ins Zentrum zu gehen. Was mich dabei vor allem überzeugt hatte, waren die Menschen. Sie hatten was zu geben, was andere nicht hatten. Später habe ich dann auch Ole und andere Lehrer kennen gelernt. Ich war an vielen Stellen sehr kritisch und befremdet von der tibetischen Kultur. So war es für mich eher schwierig Zuflucht zu nehmen, denn wenn ich etwas mache, mache ich es voll und ganz. Nach der Zuflucht habe ich relativ schnell die kurze Zuflucht gemacht und dann folgte der übliche Weg. Da Henning kein Buddhist wurde, war ich in den ersten Jahren nicht so intensiv dabei. Für mich war es wichtig, dass unsere Beziehung auf Grund meiner spirituellen Entwicklung nicht kaputt ging.

Erinnerst du dich an deinen ersten Kontakt zu Ole?
Als ich Ole das erste Mal gesehen habe, war ich natürlich aufgeregt und gleichzeitig kritisch beobachtend. Damals hat man im Zentrum immer sehr viel über Ole erzählt. Aber als ich das erste Mal seine Mahamudra-Belehrungen gehört habe, da wusste ich, das ist der Sinn und Weg, nach dem ich gesucht habe.

Es war also keine Liebe auf den ersten Blick?
Nein. Wir mochten uns immer sehr gerne. Es war ganz klar, dass wir eine ganz nahe Verbindung haben, aber ich habe diese ganze Liebesebene in meinem Geist einfach ausgeblendet. Das war zu der Zeit für mich nicht denkbar und auch nicht mit meinen Werten vereinbar. Ich hatte ja einen tollen Mann und war wirklich sehr glücklich. Aber auf der Belehrungsebene fand ich Ole toll. Da waren so viele Sätze, die ich durch Ole das erste Mal gehört habe, bei denen ich einfach nur dachte: "JA, GENAU! DAS IST ES!" Erst 5 Jahre später an Weihnachten kamen alle Bedingungen für uns zusammen. Deshalb schreibt Ole in "Über alle Grenzen": Sie war das beste Weihnachtsgeschenk....

Iist Ole für dich eher dein Mann oder ist er dein Lama?
Beides. An vielen Stellen sind wir Mann und Frau und haben eine Beziehung. Allerdings haben wir auch eine ganz andere Form der Partnerschaft als man sie üblicherweise erlebt. Natürlich ist Ole mit einer anderen Frau, Hannah, verheiratet. Aber wir drei sind eigentlich noch dazu mit dem Dharma verheiratet. Wir würden bestimmt nicht diese Form des Zusammenlebens wählen, wenn wir nicht diese Arbeit machen würden. Wir haben immer die überpersönliche Ebene mit drin, warum wir das tun. Und damit löst sich viel Persönliches auf. Für uns ist das Wichtigste, effektiv zu sein und den Wesen zu nutzen. So fallen eigene Vorstellungen, wie man gerne leben würde, weg. Außerdem ist Ole auch mein Lehrer. Ich blende das nicht aus, aber trenne es manchmal innerlich, sonst wird es schwierig.

Kannst du uns etwas aus der Anfangszeit erzählen - wie deine derzeitige Rolle entstanden ist?
Die Anfangszeit war schwierig, ich kannte ja niemanden, jeden Tag eine neue Stelle und alle schauten kritisch auf die zweite Frau an Oles Seite. Nach drei bis vier Jahren haben die Leute gesehen, dass es mir ernst ist, dass ich wirklich viel arbeite und nicht die Prinzessin spiele. Wenn man einmal im Jahr für einen Tag vorbeikommt, dann ist der Eindruck, den man in diesem Moment hinterlässt, für das nächste Jahr entscheidend. Wenn man in diesem Moment unfreundlich ist, etwas Falsches sagt oder selber mit sich beschäftigt ist und nicht mit den anderen, gibt das sofort sehr deutliche Rückkopplung. Es hat einfach gedauert, bis die Zentren wussten, wer ich bin und ob sie sich auf mich verlassen können. Es war ein großes Lernfeld, um mit störenden Gefühlen und Situationen besser zurecht zu kommen. Natürlich bin ich auch an meine Grenzen gekommen. Oft habe ich auch darüber nachgedacht, ob ich weitermachen will. Das hat mir Raum gegeben zu sagen: "Doch! - Und zum besten aller und um die Arbeit zu unterstützen, lohnt sich das!" Es war nur durch diese überpersönliche Ebene möglich. Und Ole hat es sich sehr gewünscht.

Kannst du noch etwas zu der Beziehung mit Hannah sagen und darüber, wie sie jetzt ist?
Meine Einstellung zu Hannah war von Anfang an immer sehr klar. Und dadurch war die Motivation immer da, das zusammen zu schaffen. Wir mögen und akzeptieren uns und arbeiten wirklich Hand in Hand. Wir rufen uns gegenseitig an und schreiben uns jeden Tag Emails. Wahrscheinlich gibt es niemanden, dem ich so oft schreibe und mit dem ich so oft telefoniere wie mit Hannah. Manchmal haben wir unterschiedliche Meinungen, aber die ergänzen sich auch oft. Wir sind jetzt schon fast zwölf Jahre zusammen. Wir sorgen füreinander und helfen uns gegenseitig. So bekommen wir viel Kraft für die Arbeit.

Was für eine Praxis machst du?
Meine Praxis ist immer mit Ole abgesprochen und ich mache auch ein bisschen mit den Grundübungen weiter, sobald ich Zeit dafür habe. Das geht zwar nur ganz langsam, aber Ole denkt, dass es so in Ordnung ist. Wenn ich nicht mit Ole reise, ziehe ich mich auch manchmal für ein paar Tage zurück, oder ich praktiziere morgens und arbeite nur nachmittags. Wenn ich mit Ole zusammen bin, dann kann ich eigentlich nur den Geist beobachten, in allem was geschieht...

Was war dein schönstes Erlebnis oder die schönste Zeit in den letzten zehn Jahren? Etwas, worüber du sagst: das war ganz besonders.
Ein Tag auf Hawaii 1996, das war so ein "Special Day". Ole, vier Männer und ich hatten einen Tag frei. Wir sind nach Big Island geflogen und haben einen Tag lang die Insel entdeckt. Das war wie eine Einweihung der Elemente. Erst sind wir zu einem gerade ausbrechenden Vulkan gefahren. Dort hat Ole Mahakala für alles gedankt und ihm die Kraft der Insel geschenkt und wir sind auf der heißen Lava gelaufen. Danach sind wir vom südlichsten Punkt Amerikas zwölf Meter in die Tiefe ins Meer gesprungen. Der ganze Tag war irgendwie magisch und sehr kraftvoll. Die Farben waren besonders und wir sind durch elf verschiedene Vegetationsstufen gefahren. Alles auf dieser Insel war da, und wir konnten es mit Ole hautnah erleben. Ich bin mit Ole eigentlich fast immer glücklich. Vor allem auch zu der Zeit der Arbeit an dem Buch "Das Große Siegel". Die Arbeit war so sinnvoll, so auf den Punkt, mit hoher Konzentration. Gemeinsames Schaffen für die Ewigkeit. Wenn ich mir heute das Buch anschaue, dann sehe ich die Sätze und sage mir, das kann Ole nicht geschrieben haben und das kann ich auch nicht geschrieben haben. Das ist wirklich aus uns beiden heraus zu einem Stück geworden. Das war sehr besonders.

Was ist dein größter Wunsch?
Dass die Arbeit nicht umsonst ist. Dass wir wirklich den Diamantweg im Westen etablieren können und dass die Leute ihn verwenden und Erleuchtung erfahren.

Sehr oft sieht dich das Publikum hinter dem PC sitzen oder mit anderen reden. Was sind eigentlich genau deine Aufgaben, wenn du mit Ole reist?
Vor allem versuche ich, für Ole die Bedingungen zu schaffen, dass er gut arbeiten kann, sei es mit Menschen, mit Papier oder wie auch immer. Für die Zentren bin ich der direkte Ansprechpartner, das heißt, ich versuche die Bedürfnisse der Zentren zu erfüllen, wenn wir da sind oder ich helfe ihnen bei den Problemen, die sie haben, wenn wir nicht da sind. Oft bin ich auch nur Organisationsglied in der Kette und mache zum Beispiel den Reise-Plan. Wenn man mehr die inhaltliche Ebene betrachtet, so helfe ich Ole bei den Manuskripten oder versuche uns auch für die breite Gesellschaft zugänglicher zu machen, sei es mit den Büchern, den Meditationsheften, unserem Logo oder dem Buddhismus-Heute-Faltblatt. Zudem bekommen wir ca. 100 Emails am Tag. Diese zu beantworten ist eine große Aufgabe. Eigentlich sollte es ja so sein, dass nur solche Fragen per Email geschickt werden, die die Organisation und die Zentrenarbeit betreffen. Das ist leider nicht immer so. Ein anderer Arbeitsbereich ist die Diamantweg-Stiftung. Wir haben diese Stiftung vor zwei Jahren unter anderem für die ganzen Hausprojekte, insbesondere in Deutschland und für die Förderung unserer Ostprojekte, gegründet. Es gibt viele Bereiche, in denen ich Impulse setze oder aufnehme und weitergebe. Andere helfen dann, diese zu verwirklichen. Das Netzwerk der Zentren ist so groß geworden in den letzten Jahren. Ich entwickle mit Hilfe vieler toller Freunde neue Organisationsstrukturen und hinterfrage unsere bestehenden die ganze Zeit. Ich arbeite seit Jahren mit einem idealistischen, internationalen Team. Wir überlegen gemeinsam, unterstützen uns und setzen unsere Ideen tatkräftig um. So denke ich, können wir trotz des schnellen Wachstums die Übertragung für die Zukunft sichern.

Auf Oles Reiseplan findet man immer wieder den Begriff "Projekt". Kannst du erzählen, was sich dahinter verbirgt?
Wir haben uns irgendwann überlegt, dass es nicht so schön ist, in ein Zentrum zu kommen und sofort zu sagen: "So, jetzt brauchen wir erst mal Zeit zum Arbeiten". Und das, nachdem das Zentrum vielleicht drei Jahre darauf gewartet hat, besucht zu werden. Daher haben wir Projekttage eingerichtet an denen Ole ungestört Post beantwortet, Artikel und Bücher schreibt. Im Moment arbeiten wir an einem Buch über "Tod und Wiedergeburt".

Was machst du, wenn du nicht mit Ole reist?
Das hängt immer davon ab, was für eine Aktivität gerade gebraucht wird. Oft besuche ich die Zentren. In Hamburg, Wuppertal, Schwarzenberg und in Zürich bin ich regelmäßig, da das unsere Knotenstellen sind. Seit kurzem bin ich auch manchmal in Budapest oder Warschau aufgrund der großen Projekte dort. Ich habe dann viel mehr Zeit für intensive Gespräche. Es gibt so viele Dinge, zu denen ich nicht komme, wenn ich mit Ole reise. Die Manuskripte, Zentrentreffen, Freunde. Arbeitslos bin ich eigentlich nie.

Wie schaffst du die ganze Arbeit?
Ich mache sie einfach und mit immer mehr Freude. Wenn man anfängt darüber nachzudenken, wie hart es ist, dann verliert man schon bei dem Gedanken ganz viel Energie. In letzter Zeit geschieht das immer müheloser und ich schaue, was im Moment gerade gefragt ist. Das macht mehr Spaß. Und dann tauchen von überall Helfer auf. Nur nachts bin ich oft sehr müde, das ist schade. Ich bin froh darüber, was alle anderen machen. Wir könnten unsere Arbeit nie leisten ohne die Arbeit, die in den Zentren von so vielen gemacht wird. Ich fände es ganz schön, wenn diese Vielen in Zukunft etwas bekannter werden würden, das heißt, dass sie mehr "Gesicht" bekommen und damit wertgeschätzt werden.

Was hast du für Vorstellungen über deine persönliche Zukunft?
Ich werde persönlich erst mal so weiter machen wie bisher und dabei versuchen, mich mit den Aufgaben und durch Oles Hilfe weiter zu entwickeln. Für die Arbeit habe ich natürlich mehr Ideen: Für mich ist besonders wichtig, dass wir trotz des schnellen Wachstums unsere Ideale nicht verlieren. Unsere Organisation soll fließend bleiben, sich immer wieder anpassen und ein Angebot sein für die Menschen und Zentren. Ich beobachte die Entwicklung sehr gerne, setze Impulse und verbinde und arbeite mit Menschen über die Grenzen hinweg. Wir sollten auf die Freundschaftsebene achten. Ein bisschen extra Energie darauf richten. Denn auf unser gegenseitiges Vertrauen basiert unsere Kraft. Ich schaffe gerne Plattformen dafür, wie bei unsere jährlichen internationalen Treffen und Veranstaltungen und bei den vielen Teestunden. Den Diamantweg im Westen langfristig einzuführen ist eine riesige Herausforderung auch auf Organisationsebene. Durch die vielen unterschiedlichen Modelle, die wir gerade entwickeln, entsteht ein riesiger Schatz.

Kannst du uns etwas zum Europazentrum erzählen?
Das Europazentrum - das wird überhaupt das Beste. Im EZ-Team arbeiten schon jetzt sehr viele mit. Nächstes Jahr werden wir den ersten internationalen Kurs mit den Freunden aus vielen Ländern in Griechenland organisieren. Das ist sozusagen unsere Generalprobe. Wir werden viel mehr Möglichkeiten und Freiheiten haben als bisher. Wir können zum Beispiel später viel längere Meditations-Kurse mit unseren Lehrern machen. Die Länder werden voneinander lernen und durch die Zusammenarbeit einen gemeinsamen Stil entwickeln. Das ist wichtig für die Zukunft. Ich freue mich sehr auf dieses Europazentrum. Das Europazentrum wird uns helfen den Diamantweg im Westen zu verankern.

Kannst du zu der Zeit nach Ole etwas sagen?
Viel Verantwortung. Also, eigentlich bereite ich mich jetzt schon drauf vor. Es gilt auch hier wieder durchsichtige Strukturen zu finden, die viel Raum geben und uns nicht erstarren lassen. Ich denke, wir können das nur schaffen, wenn wir jetzt anfangen, uns um wirklich gute Beziehungen zu bemühen. Wenn wir Probleme mit Leuten haben, ist es wichtig, diese zu klären. Wenn wir die Freundschaftsebenen nicht zusammenhalten, wird es sehr schwer werden. Wir sollten jetzt an dem Netzwerk arbeiten und an der eigenen Entwicklung, damit wir dann Beispiel sind - auch für die Neuen. Da ist jeder Einzelne von uns gefragt.

Wie bereitest du dich darauf vor?
Ich stelle mir vor, wie man an den unterschiedlichen Stellen arbeiten müsste oder wie wir dann miteinander leben und arbeiten sollten. Das heißt, ich grenze das Thema nicht aus. Ich frage öfter: "Ole, wie siehst du die Zukunft? Wie sollen wir dann weitermachen? Welche Lehrer werden dann wichtig sein?" Die Diamantweg-Stiftung haben wir ja auch gegründet, damit unsere Vision des Laien-Buddhismus der Karma Kagyü Linie für viele Generationen erhalten bleiben kann. Die Grundidee für die Stiftung konnte Ole komplett festlegen, als er die Stiftung gegründet hat. Dass Ole dies zu einer Zeit machte, wo er mitten im Leben steht und genau weiß, wohin er will, zeigt seine Voraussicht. Und er kann seine Vision jetzt noch 30, hoffentlich 50 Jahre mit uns weiterentwickeln. Ohne Vorbereitung und die festgelegte Richtung der Stiftung käme sonst einfach nur die große Lähmung oder ein großes Durcheinander. Mit zeitlosen Grundsätzen haben wir ein Mittel in der Hand, womit wir arbeiten können.

Wie siehst du die Zukunft des Diamantweges?
Es liegt an uns, was wir jetzt daraus machen. Ich mache einfach fröhlich weiter.

Vielen Dank, Caty!


Dieses Interview entstand im Zug auf Lama Oles Russland-Tour im Winter 2002, und wurde von Bastian Hölscher geführt.