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BUDDHISMUS HEUTE
Aus: Buddhismus Heute Nr. 30, ( 2000)

Das Handeln eines Bodhisattva

Belehrungen des 17. Gyalwa Karmapa Thaye Dorje in München

Diese Belehrungen beruhen auf dem Text "Das Handeln eines Bodhisattva" des Meisters Ngulchu Thogme Sangpo, der selbst ein verwirklichter Bodhisattva war. In seiner vollständigen Form besteht er aus 37 Versen, von denen ich aber nur einige vorstellen und kommentieren werde, weil nur wenig Zeit zur Verfügung steht. Ich werde jedoch versuchen, eine klare Richtung hinsichtlich des Handelns eines Bodhisattva zu zeigen, der ein Dharma-Praktizierender folgen sollte.
Für einige Leute ist es vielleicht schwierig zu verstehen, was "Dharma" bedeutet, es ist aber eigentlich ganz einfach. Der Dharma ist die Lehre Buddhas, einfach das was Buddha lehrte. Er besteht aus verschiedenen Methoden und Wegen der Praxis, die zur Erkenntnis der Natur des eigenen Geistes führen. Wenn wir die Natur des Geistes verstehen, lösen sich Verwirrung, Mißverständnisse und alle Leiden auf und fallen weg. Damit ist Erleuchtung erlangt.

Jeder Praktizierende braucht unterschiedliche Methoden der Praxis. Aus diesem Grunde lehrte Buddha viele verschiedene Praktiken, um den buddhistischen Pfad zu gehen. Die Belehrungen des heutigen Abends sind ein Bestandteil der Lehren Buddhas und machen einen solchen Weg aus.

Vers 1:
Nachdem man die menschliche Geburt
mit ihren Freiheiten und Möglichkeiten
erlangt hat,
Die so schwierig zu finden und so kraftvoll ist,
Bemüht man sich ständig, Tag und Nacht,
Sich selbst und andere
aus dem Ozean von Samsara zu befreien.
Hören, Nachdenken und Meditieren ist die
Praxis eines Bodhisattva.


Der erste Punkt betrifft diese kostbare menschliche Existenz. Es ist nicht so einfach, als Mensch geboren zu werden. Wenn man das geschafft hat, ist es wichtig, dieses Potential nicht zu verschwenden, sondern statt dessen unser Leben effektiv für die Praxis und Entwicklung zu verwenden. Das macht ein menschliches Leben kostbar.

Als Mensch geboren zu werden, mit den Bedingungen, die es ermöglichen, das Leben wertvoll zu machen, ist in der Tat ziemlich schwierig. Es passiert nicht einfach so zufällig, sondern ist das Resultat aus vielen guten Bedingungen - positiven Handlungen, einer richtigen Lebensführung und früheren Wünschen. Eine gute Analogie, um unsere Situation als Menschen zu beschreiben, ist unseren Körper mit einem Boot und die Welt mit einem Ozean zu vergleichen. Wir wollen diesen Ozean überqueren, indem wir unser Leben in der bestmöglichen Weise nutzen. Dies tun wir, indem wir die Lehren kennenlernen, über sie nachdenken und auf das Verständnis von ihnen meditieren. Wenn wir diesem Vorgehen folgen, wird unser Leben fruchtbar und sinnvoll.

Vers 4:
Beim Tod läßt das besuchende Bewußtsein
den Körper zurück
So wie ein Gast, der ein Hotel verläßt.
Zurück bleiben geliebte Menschen,
denen man lange nah war,
Und mühsam angesammelter Wohlstand.
Die Beschäftigung mit diesem Leben aufzugeben, ist die Praxis eines Bodhisattva.


Beim vierten Vers geht es darum, als Vorbereitung auf den Tod die Anhaftungen aufzugeben. Wir alle müssen unseren Körper verlassen.

Der Weg zum Aufgeben von Anhaftungen ist, daß man die Vergänglichkeit besser versteht. In der Tat ist alles vergänglich, nichts wird bestehen bleiben - weder Freunde noch Besitz. Alles wird eines Tages wieder verschwinden. Sich dieser Tatsache bewußt zu sein und zu verstehen, daß alles von dieser vergänglichen Natur ist, wird uns dazu inspirieren, unser Leben in einer sinnvollen Weise zu verwenden. Wir sollten diese Chance nicht vergeuden, sondern stattdessen unser Leben bedeutungsvoll machen und uns mit wichtigen Aufgaben beschäftigen, vor allem in Hinsicht auf die Praxis.

Wenn wir unsere Anhaftungen loslassen, werden wir auch die traumartige Natur aller Dinge verstehen. Natürlicherweise haften wir an den Dingen als wirklich vorhanden an; wir halten sie für solide und beständig. Wenn wir anfangen die Vergänglichkeit zu verstehen, werden wir sehen, daß die Dinge nicht so dauerhaft und solide sind, sondern eher wie ein Traum. Wenn sich unser Verständnis vertieft, werden wir schließlich auch die Natur der Dinge verstehen und aus diesem Traum - wo "Realität" und "Leiden" erlebt werden - erwachen. Wenn wir aus diesem Traum aufwachen, sind wir erleuchtet. Sich der Vergänglichkeit bewußt zu werden, treibt diesen Prozess voran.


Vers 10:
Was ist der Sinn von persönlichem Glück,
wenn alle früheren Mütter,
die so liebevoll zu uns waren
seit anfangsloser Zeit leiden?
Um also unzählige Wesen zu befreien
ist das Entwickeln des Erleuchtungsgeistes
die Praxis des Bodhisattva.


Bei diesem Vers geht es um das Entwickeln des Wunsches, allen Wesen aus dem Leiden und zur Erleuchtung zu helfen. Dies ist die grundlegende Praxis des Bodhisattva. Hinter diesem Wunsch, allen Wesen zur Erleuchtung zu helfen, steht das Verständnis, daß wir alle eine direkte Verbindung miteinander haben. Die Welt besteht schon seit anfangsloser Zeit. Das bedeutet, daß wir unzählig viele Leben hatten und alle irgendwie miteinander verbunden sind.

Die Methode zum Entwickeln des ernsthaften Wunsches, allen Wesen zu helfen, ist: Denkt an jemanden, der euch in diesem Leben sehr nah steht und dem ihr sehr dankbar seid - seien es die Eltern oder Freunde. Es ist natürlich zu wünschen, daß diese Personen Glück haben, frei von Leid sind und Erleuchtung erlangen. Die Bodhisattva-Sichtweise ist nun, diesen Wunsch auszudehnen, so daß er alle Wesen beinhaltet. So entwickeln wir den Erleuchtungsgeist, den Wunsch, daß alle Wesen Erleuchtung erlangen.


Vers 20:
Wenn der innere Feind, der eigene Zorn,
unkontrolliert bleibt,
Erzeugt der Versuch äußere Feinde zu
unterdrücken nur noch mehr von ihnen.
Deshalb ist das Zähmen des eigenen
Geist-Stroms mit den Kräften der
liebenden Güte und des Mitgefühls
die Praxis des Bodhisattva.


Ein Bodhisattva muß seinen eigenen Geist beherrschen. In dieser Weise befriedet er alle äußeren Störungen. Wir denken immer, daß wir äußere "Feinde" haben, aber das stimmt nicht. Diese "Feinde" sind Illusionen, die unser eigener Geist erzeugt. Der beste Weg, um diesen "Feind" auzulöschen, ist den Zorn auszulöschen, der unser "wirklicher" Feind ist. Wenn der innere Feind des Zorns beseitigt ist, werden sich auch äußere "Feinde" auflösen.

Der beste Weg, um die falsche Vorstellung von Feinden als etwas Äußerem aufzulösen, ist Liebe und Mitgefühl für alle Wesen zu entwickeln. Bodhisattvas haben durch die Kontrolle über ihren Geist die Fähigkeit, Feinde zu Freunden zu machen. Alles, was euer Geist erschaffen hat, kann durch Geistes-Kontrolle angehalten oder blockiert werden.


Vers 31:
Wenn man nicht seine eigene Verwirrung untersucht,
kann man ein Scharlatan in der Verkleidung
eines Dharma-Praktizierenden werden.
Aus diesem Grunde immer in die eigene
Verwirrung zu schauen und sie dann aufzugeben
Ist die Praxis des Bodhisattva.


Wir machen oft den Fehler, daß wir äußere Feinde sehen und unsere eigenen Fehler ignorieren. Dies führt zu Verwirrung und fehlerhafter Praxis. Man muß deshalb den eigenen Geist ständig überprüfen und wenn nötig, Methoden zur Korrektur anwenden. Dieser Rat betrifft tatsächlich alle Situationen und ist äußerst wichtig für den Alltag. Wir sind schnell darin, Fehler in anderen zu sehen, auch wenn sie nur klein sind und haben große Schwierigkeiten, eigene Fehler zuzugeben, selbst wenn sie groß sind.

Das müssen wir ändern, um neue und bessere Gewohnheiten zu schaffen. Wenn wir diese Tendenz nicht ändern und mit der Dharma-Praxis fortfahren, könnte unsere Praxis fehlerhaft sein. Der beste Weg, um Gewohnheiten zu ändern, ist durch mehr Geistesgegenwart und Bewußtheit des eigenen Geistes. Durch mehr Geistesgegenwart und Bewußtheit können auch viele Fallgruben vermieden werden, bevor man auf sie reinfällt. Es hilft einem, eigene Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Im Buddhismus ist es wichtig, nicht nur frühere Fehler zu erkennen und darüber deprimiert zu sein, sondern sich vor allem darauf zu konzentrieren, Gegenmaßnahmen anzuwenden, damit man die Fehler nicht wieder macht. Geistesgegenwart und Bewußtheit bringen das konstruktive Resultat eines korrekten Pfades und Verhaltens.


Vers 36:
In Kürze:
Was immer du tust, wo immer du bist,
Schau auf den Zustand deines Geistes.
Das beständige Bewahren
bewusster Geistesgegenwart
ist die Praxis des Bodhisattva.


Wenn wir Geistesgegenwart entwickeln, können wir unsere früheren Fehler und Illusionen loswerden und fähiger werden, anderen zu nutzen.

Geistesgegenwart ist sehr essentiell, denn es ist das Mittel, um Verdunkelungen zu entfernen. Die konstante Geistesgegenwart des Bodhisattva ist von großem Nutzen für andere. Diejenigen, die sowohl in Dharma- als auch in weltlicher Aktivität diese Bewußtheit haben, können offensichtlich vielen anderen helfen. Sie sind angenehmere und fähigere Wesen. Wenn man die eigene Verwirrung überwunden hat, ist das einfach von großem Nutzen für jeden.

Dies war nur eine kurze Erklärung, durch die wir eine gute Verbindung zwischen Schüler und Lehrer geschaffen haben. Ich hoffe, daß sie euch etwas Inspiration für eure buddhistische Praxis gegeben hat. Es ist auch mein Wunsch, daß ich euch in der Zukunft klarere und tiefere Erklärungen geben kann.


Gyalwa Karmapa sprach abwechselnd Tibetisch und Englisch.

Übersetzung aus dem Tibetischen ins Englische durch Hannah Nydahl, ins Deutsche durch Detlev Göbel.