Die "Vier Grundgedanken"Von Lopön Tsechu Rinpoche
Juli 1996, Dhagpo Kagyü Ling, Südfrankreich
Jeder Dharmapraxis gehen bestimmte Vorbereitungen voraus, die als solide Grundlage für die korrekte Praxis dienen. Man unterscheidet bei den Vorbereitungen in zwei Arten: Die allgemeinen und die besonderen. Die "Vier Gedanken, die den Geist dazu bringen, sich von Samsara abzuwenden" gehören zu den gewöhnlichen Vorbereitungen. Was bedeutet "den Geist von Samsara abwenden"? Es bedeutet, daß man frei wird von jeglicher Anhaftung an ein Leben in einem der drei Bereiche Samsaras. Diese Freiheit von Anhaftung entwickelt man in sich, indem man über vier bestimmte Themen nachdenkt; eben die vier allgemeinen Vorbereitungen. Das erste dieser vier Themen ist, daß man die Kostbarkeit seines menschlichen Lebens, welches schwer zu erlangen ist, wertschätzt. Das zweite Thema ist, daß man sich der Vergänglichkeit bewußt wird. Beim dritten Thema geht es darum, daß man ein Verständnis davon entwickelt, wie Karma, das Gesetz von Ursache und Wirkung, arbeitet. Das vierte Thema ist das in jeder Form samsarischer Existenz enthaltene Leiden - die Nachteile Samsaras. Seine Kostbarkeit wird durch drei Aspekte beschrieben: Zum einen, indem man die größere Situation betrachtet, zweitens durch Zahlenvergleiche und drittens durch Analogien. Beim ersten dieser drei Aspekte werden die sogenannten "Freiheiten", die die kostbare Menschengeburt charakterisieren, beschrieben. Die Geburt als Mensch gilt deswegen als wertvoll, weil man es geschafft hat, bestimmte andere Arten von Wiedergeburt zu vermeiden. Man ist "frei" von bestimmten Arten der Existenz, in denen man einer ganz anderen Situation begegnet wäre als in einem menschlichen Leben. Man spricht hier von acht anderen Arten der Existenz:
Einen kostbaren Menschenkörper zu haben, bedeutet also zum einen, von diesen acht ungünstigen Arten der Existenz frei zu sein. Zum anderen gibt es bestimmte "Ausstattungen", die unseren Menschenkörper kostbar machen: Es werden hier zehn bestimmte Aspekte beschrieben, von denen fünf direkt mit uns selbst zu tun haben und fünf weitere eher mit der äußeren Umgebung, in die wir geboren wurden. Von den ersten fünf ist der erste, daß wir tatsächlich in einem menschlichen Körper geboren wurden. Der zweite ist, daß wir in einem sogenannten "zentralen Land" auf die Welt kamen; dies bezeichnet eine Gegend, in der die Lehren Buddhas zugänglich sind. Der dritte Aspekt ist, daß man intakte Sinnesorgane hat. Viertens hat man nicht das Problem, falschen Sichtweisen zu folgen und fünftens hat man natürlicherweise Vertrauen in den Dharma. Von den weiteren fünf Aspekten, die eher mit der äußeren Umgebung zu tun haben, ist der erste, daß man in einer Zeit geboren wurde, in der ein Buddha in dieser Welt erschienen ist. Wenn man nämlich zwar als Mensch, aber in einer Zeit ohne Buddha geboren wird, nutzt einem die menschliche Geburt nicht viel, denn man hat nicht die Methoden, die ein Buddha lehrt. Der zweite Aspekt ist, daß ein Buddha nicht nur erschienen ist, sondern auch gelehrt hat. Man sollte dies nicht als selbstverständlich ansehen; nicht alle Buddhas die erscheinen lehren auch. Der dritte Aspekt ist, daß die Lehren des Buddha nicht nur irgendwann in der Vergangenheit gegeben wurden und dann wieder verschwunden sind, sondern daß sie bis heute erhalten blieben; die Lehren sind uns heute noch zugänglich. Der vierte Aspekt wird zwar in diesem zweiten Set von fünf Aspekten aufgelistet, ist aber eigentlich etwas sehr Persönliches: Man ergreift und praktiziert die buddhistischen Lehren. Wenn man sich nämlich in der beschriebenen guten Situation befindet, daß man in einer Gegend lebt, wo ein Buddha gelehrt hat und die Lehren bis heute erhalten sind, so nützt einem dies nicht viel, wenn man sie nicht auch praktiziert. Auch der fünfte Aspekt ist etwas eher Persönliches: Man praktiziert nicht nur die Lehren, sondern hat auch ein gutes Herz, eine natürlicherweise liebevolle Einstellung anderen Wesen gegenüber. Diese beschriebenen acht Freiheiten und zehn Ausstattungen sind die 18 Bedingungen, die - wenn sie alle zusammen vorliegen - einen "kostbaren" Menschenkörper ausmachen. Die Betonung liegt hier auf "kostbar", denn man nennt einen menschlichen Körper nur dann kostbar, wenn all diese 18 Bedingungen vorliegen. Wenn die eine oder andere davon nicht zutreffen würde, so würde man eine solche menschliche Existenz nicht "kostbar" nennen. Wir alle haben eine menschliche Geburt erlangt, die sich als "kostbar" qualifiziert. Dies ist nicht leicht zu erlangen, sondern extrem schwierig, denn es muß dafür eine große Menge von positivem Potential angesammelt werden. Durch die Kraft dieses großen positiven Potentials im eigenen Geiststrom kommt man zu dem positiven Resultat eines "Kostbaren Menschenkörpers". Es ist einfach das Resultat davon, daß wir in früheren Leben sehr viel Positives angesammelt haben. Nur aufgrund dieser Tatsache kann jemand eine kostbare Geburt finden. Es gibt insbesondere eine Ursache, die es uns erlaubt, unter solchen kostbaren Umständen wiedergeboren zu werden: Es ist das Einhalten einer Disziplin. Dies ist in sich die Ursache zum Erlangen eines kostbaren Menschenlebens. Bei "Disziplin" geht es einerseits um die verschiedenen Sets von Gelübden zur persönlichen Befreiung. Ein anderer Ansatz ist, von den zehn negativen Handlungen Abstand zu nehmen. Es spielt keine große Rolle, ob man es in der einen oder der anderen Weise formuliert, denn es ist einfach die Qualität der Disziplin, die die direkte Ursache zum Erlangen eines Kostbaren Menschenkörpers ist. Man kann auch Beispiele und Analogien verwenden, um einen Geschmack davon zu bekommen, was es wirklich bedeutet, daß unser menschliches Leben so wertvoll und schwer zu erlangen ist: Stellt euch ein Glashaus vor, ein Haus mit völlig glatten Wänden. Wenn nun jemand Erbsen an die Glaswände wirft, so werden die meisten Erbsen abprallen und zu Boden fallen. Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß Erbsen an den Scheiben hängenbleiben, wenn auch nicht unmöglich. Falls man ständig mit Erbsen wirft, wird jedoch früher oder später mal eine hängenbleiben. Die Wahrscheinlichkeit, einen kostbaren Menschenkörper zu erlangen, ist noch viel kleiner als die, daß eine Erbse an dem Glas hängenbleibt. Dies ist eines von vielen Beispielen, die alle darauf abzielen, zu zeigen, daß unsere Existenz wertvoll und schwer zu erlangen ist. Ein anderes Beispiel ist: Stellt euch vor, daß ein Ring von Wind und Wellen auf einem Ozean hin und her geworfen wird. Auf dem Grund des Ozeans lebt eine besondere Schildkröte, die nur einmal alle hundert Jahre kurz an die Oberfläche auftaucht. Die Wahrscheinlichkeit, daß ihr Kopf dabei durch den Ring stößt, ist ziemlich gering, aber es ist noch schwieriger, einen kostbaren Menschenkörper zu erlangen. Man kann den Wert und die Seltenheit eines Kostbaren Menschenkörpers auch durch Zahlen illustrieren, indem man die Anzahl der verschiedenen Arten von Wesen vergleicht. Zum Beispiel gibt es ziemlich genaue Schätzungen darüber, wieviele Menschen in diesem Land hier leben; es ist eine bekannte Zahl. Wenn man jedoch versuchen würde zu zählen, wieviele Insekten auf einem kleinen Stück Land leben, so wäre dies unmöglich. Dies ist eine Weise zu zeigen, wie selten und kostbar es ist, ein Mensch zu sein. Wir alle hier wurden unter Umständen geboren, die unser menschliches Leben äußerst kostbar machen. Wir sollten uns bewußt sein, daß der Grund dafür der ist, daß wir eine große Menge positiven Potentials angesammelt und unseren Geist von vielen Verdunkelungen gereinigt haben. Zur Zeit genießen wir das Resultat davon, in früheren Leben in dieser Weise gehandelt und praktiziert zu haben. Jetzt ist es wichtig, dieses Resultat in der bestmöglichen und sinnvollsten Weise zu nutzen, denn sonst würde es einfach vergeudet. Es wäre so, als würde man in der Absicht irgendwo hinzugehen, etwas Bestimmtes erlangen, und dann mit leeren Händen zuückkommen. Wenn jemand mit einem leeren Gefäß losgehen würde, um Wasser zu holen und dann mit einem immer noch leeren Gefäß zurückkäme, wäre sein Weg völlig umsonst gewesen. In gleicher Weise sollten wir danach streben, aus unserer begünstigten Situation vollen Nutzen zu ziehen und sie nicht einfach vergeuden. Das eigene Leben bedeutungsvoll zu machen, heißt, den Dharma zu nutzen und die verschiedenen Methoden anzuwenden, die Buddha lehrte. Buddha gab eine so große Anzahl von Mitteln, daß es nicht möglich ist, sie als Individuum alle anzuwenden. Deswegen sollte man diejenigen nutzen, die man anzuwenden in der Lage ist. Den Dharma zu praktizieren bedeutet bestenfalls, sich, so wie Milarepa, von allen weltlichen Angelegenheiten abzuwenden. Heutzutage gibt es jedoch nur wenig Leute, die fähig sind, den Dharma in diesem Ausmaß zu praktizieren. Wenn man feststellt, daß man selbst auch nicht dazu in der Lage ist, sollte man sich entschließen, in dem Umfang zu praktizieren, wie es einem persönlich möglich ist. Man sollte soviel tun, wie man kann. Dies bezieht sich auf all die Praktiken, die wir machen: Meditation, Verdienst ansammeln, Reinigungspraktiken und natürlich auch die Vorbereitenden Übungen. Eine Möglichkeit, wie man zum Beispiel ständig positives Potential ansammeln kann, ist, den Buddhas Opferungen darzubringen. Bestenfalls opfert man eine große Menge von dem, was man hat; aber wenn das nicht möglich ist, kann man immer einfach klares Wasser opfern. Falls das auch nicht geht, kann man große Mengen von Blumen opfern. Falls auch dies nicht möglich sein sollte, kann man mit hingebungsvollen Geist an Blumen denken und diese dem Buddha opfern. Man kann auch die Blumen, die man irgendwo sieht, im Geiste den Buddhas opfern. Durch diese Methode - dem Buddha in verschiedenen Weisen, wie es einem individuell möglich ist, Opferungen darzubringen - kann man positive Tendenzen im Geist ansammeln. Eine weitere Möglichkeit ist, dem Sangha gegenüber großzügig zu sein. Hier gilt das gleiche wie zuvor: Am besten ist man im großem Ausmaß großzügig. Wenn dies nicht möglich ist, dann in dem Umfang wie es für einen persönlich geht. Man unterstützt den Sangha mit einem respektvollen Geist. Die dritte Möglichkeit ist, gegenüber allen fühlenden Wesen großzügig zu sein. Man tut, was immer einem möglich ist, um den Wesen zu helfen. Wenn man zum Beispiel ein durstiges Tier findet, gibt man ihm Wasser. Dies sind verschiedene Beispiele um zu zeigen, daß es immer möglich ist, auf verschiedenen Ebenen nützliche und verdienstvolle Praktiken auszuüben. Man sollte es wirklich tun, so gut wie es einem möglich ist. Es bezieht sich, wie schon erwähnt, auf die Vorbereitenden Übungen und alle anderen Arten von Handlungen, die man ausüben kann, um sein eigenes positives Potential zu verstärken und die Negativität zu zerstreuen, die den eigenen Geist belastet. Man sollte in bezug auf verdienstvolle und schädliche Handlungen nicht die Einstellung haben, daß man die schweren negativen Handlungen - die so offensichtlich negativ sind, daß man sie leicht im Geist hält - vermeidet und sich um die kleinen nicht kümmert. Eine negative Tat, ob groß oder klein, ist immer negativ und wird immer zu Leiden und Problemen heranreifen. Die Auswirkung wird immer negativ sein, da sie immer der sie verursachenden Handlung entspricht. Deswegen sollte man sich nicht nur auf das Vermeiden der großen negativen Handlungen konzentrieren, sondern auch von den kleinen, die man so leicht begeht, Abstand nehmen. Dies gilt auch für nützliches Verhalten: Einerseits sollte man sich natürlich darauf konzentrieren, so nützlich und positiv zu handeln, wie es einem möglich ist. Man sollte aber nie denken, daß kleine positive Taten keinen Wert hätten und sie deswegen erst gar nicht tun. Ein derartiges Konzept kann sehr leicht auftreten: man denkt, daß man sowieso nicht in der Lage ist, in großem Ausmaß Positives zu vollbringen und fängt deswegen erst gar nicht an. Eine positive Handlung wird jedoch immer ein entsprechendes Resultat haben, und so sollte man immer tun, was einem persönlich möglich ist und niemals kleine positive Taten vernachlässigen. Auch in bezug auf die Praxis sollte man nicht denken, daß es sich gar nicht lohnt anzufangen, da man es sowieso nicht schafft, in großem Ausmaß zu praktizieren, sondern soviel tun, wie es für einen selbst passend ist. Ein Beispiel illustriert, warum es so wichtig ist, auch von der kleinsten negativen Handlung Abstand zu nehmen: Stellt euch einen großen Haufen trockenes Gras vor, so groß wie ein Berg. Wenn man diesen Haufen mit einem kleinen Funken in Brand setzt, wird das ganze Gras verbrennen. In ähnlicher Weise kann auch die kleinste negative Tat eine große destruktive Wirkung haben. Das Leben ist sehr kostbar weil es sehr schwer zu erlangen aber leicht wieder zu verlieren ist. Man hat keine Kontrolle über die Dauer der Situation in der man sich befindet. Man hat mit dem Kostbaren Menschenkörper viele Möglichkeiten, aber es gibt auch die Vergänglichkeit und den Tod. Man weiß nie wann der Tod eintritt; es gibt hier nichts Sicheres. Das Leben ist nur wie ein kurzes Aufblitzen. Man macht zwar immer viele Pläne für die Zukunft, aber wenn man sich heute schlafen legt, ist es gar nicht sicher, daß man morgen wieder aufwacht. Man kann in jedem Alter sterben: Direkt nach der Geburt, als Kind, als Jugendlicher, als Erwachsener oder als alter Mensch. Es gibt eigentlich nur wenige, die als alte Menschen sterben. Im allgemeinen endet das Leben schon eher. Der Tod ist also insofern etwas Sicheres, als er ohne Zweifel kommen wird. Unsicher ist jedoch der genaue Zeitpunkt, denn der Tod folgt keinen Regeln. Kinder leben nicht unbedingt länger als ihre Eltern, Lehrer sterben nicht unbedingt vor ihren Schülern und so weiter. Man weiß es eigentlich auch aus eigener Erfahrung, und doch hat man dieses Konzept, daß es man es beispielsweise als normal ansieht, daß Kinder länger als ihre Eltern leben. Wenn man sich jedoch umschaut und sich eigener Erfahrungen erinnert, wird man mit Sicherheit feststellen, daß diese Dinge nicht festgelegt sind: Oft leben Eltern länger als ihre Kinder. Obwohl man das Glück hat, noch am Leben zu sein, ist es überhaupt nicht selbstverständlich, daß dies lange so weitergeht, denn der Zeitpunkt des eigenen Todes kann jederzeit kommen. Das ist das Problem mit unserem Leben: Es ist so zerbrechlich, so leicht zu verlieren, so leicht zu zerstören. Im Moment des Todes ist man sehr allein. Ganz gleich wieviele nahe und liebe Freunde man jetzt hat, wie nahe einem die Familie ist, wieviele Schwestern, Brüder, Freunde und Freundinnen man hat: Sie können euch im Moment des Todes nicht begleiten und euch nicht helfen. Ebenso wenig wie die materiellen Dinge, die uns so wichtig erscheinen: Ganz gleich wieviel Geld wir stapeln, wie groß und nett unser Haus ist, wie gut unser Auto ist, wir werden nichts davon mitnehmen können. Es ist einfach unmöglich, irgend etwas mitzunehmen und so werden wir alles zurücklassen müssen. Das gilt auch für unseren Körper und er ist ja das, was uns in unserem Leben am nächsten und liebsten ist. Unser ganzes Leben hindurch begleitet uns sozusagen der Schatten unseres Körpers; wir müssen ihn nicht mittragen oder uns in irgendeiner Weise darum kümmern ob er da ist oder nicht, denn er ist automatisch immer da. Selbst er jedoch kann uns zum Zeitpunkt unseres Todes nicht weiter begleiten. Es gibt also tatsächlich gar nichts, was wir mitnehmen könnten. Das einzige, was im Moment des Todes wirklich zählt, sind die Tendenzen, die wir in unserem Geist angesammelt haben. Die positiven und die schädlichen Eindrücke werden uns begleiten, ob wir wollen oder nicht, denn wir können nicht die positiven mitnehmen und die negativen zurücklassen. Diese Tendenzen werden unseren Geisteszustand bestimmen. Von ihnen hängt es ab wie wir unseren Tod und die Zeit danach erleben werden. Wenn wir eine große Menge positiver Eindrücke im Geist angesammelt haben, werden wir das entsprechende Resultat haben. Wir werden dann viel Glück erleben und nicht den Leiden begegnen, die mit schädlichen Tendenzen einhergehen. Falls jedoch in unserem Geist die negativen Tendenzen vorherrschend sind, bestimmen sie unser Erleben in dem Sinne, daß Leid und Schmerz erlebt werden. Wir sollten uns dessen wirklich bewußt sein: Für unseren Tod und das, was danach kommt, kann uns nichts anderes helfen als die Weise, wie wir während unseres Lebens gehandelt haben. Dies geschieht unausweichlich, denn das Resultat wird immer der Natur der Ursache entsprechen. Wenn man zum Beispiel einen Samen pflanzt, wird aus ihm eine ganz bestimmte Pflanze wachsen, aus einem Reissamen zum Beispiel eine Reispflanze, keine andere Sorte. Deswegen habe ich zuvor schon betont wie wichtig es ist, in dieser Hinsicht so achtsam zu sein und alles nur Mögliche zu tun, um in großem oder in scheinbar kleinem Ausmaß positives Verhalten zu verstärken. Die in unserem Geist vorherrschenden Tendenzen werden zuerst heranreifen. Wenn wir also Tendenzen im Geist haben, die von negativen Verhaltensweisen geprägt und vorherrschend sind, so werden sie zuerst erlebt werden und in unserem Leben dominant sein. Wir werden dann Leid erleben und unglücklich sein. Dies wiederum bewirkt, daß wir nicht gut zurechtkommen im Leben und unsere Probleme weiter anwachsen. Wenn wir jedoch andererseits unsere positiven, nützlichen Verhaltensweisen verstärken und dafür sorgen, daß sie in unserem Leben die Oberhand gewinnen, so werden Glück und Freude im Leben zunehmen und vorherrschend werden. Dies unterstützt wiederum unsere Fähigkeit, positive Verhaltensweisen weiter zu verstärken. Viele kleine Dinge sammeln sich an, weswegen man nie eine scheinbar kleine positive Handlung vernachlässigen, sondern sich immer nach Kräften bemühen sollte. Diese vier Gedanken wurden nicht von irgendwem "erfunden", weder von mir, noch von einem anderem Lama. Sie wurden nicht von irgendwem ausgedacht um euch zu täuschen, sondern sind authentisch. Sie sind völlig wahr und wurden von Buddha Shakyamuni selbst gelehrt. Der Buddha gab diese Lehren aus seiner allwissenden Weisheit, aus seiner liebenden Güte und aus seiner Fähigkeit heraus. Worum es geht, ist, daß jeder starke Verdunkelungen im Geist hat, wobei die Hauptstörgefühle Anhaftung, Zorn und Unwissenheit sind. Aufgrund dieser Störungen entsteht eine Vielzahl weiterer Störgefühle in unserem Geist. Diese beeinflussen unsere Handlungen und führen so zu vielen negativen Aktivitäten. Unsere gegenwärtige Situation ist, daß störende Gefühle in unserem Geist ziemlich vorherrschend sind und zu physischen, verbalen und geistigen Aktivitäten führen, wodurch wir Karma ansammeln. Allgemein gesprochen gibt es natürlich eine Vielzahl negativer Handlungen, aber man teilt sie in bestimmte Kategorien ein: Drei haben mit unserem Körper zu tun, vier mit unserer Rede und weitere drei mit unserem Geist. Die drei negativen Handlungen, die mit unserem Körper ausgeführt werden, sind: Töten, Stehlen und in sexueller Hinsicht Leid verursachen. Die drei der Rede sind: Lügen, Verleumdung, grobe Worte gebrauchen und sinnloses Gerede. Beim Geist spricht man von Böswilligkeit, Mißgunst und dem Hegen falscher Sichtweisen. Diese zehn negativen Handlungen sollten auf jeden Fall vermieden werden, und man sollte auch jeweils das Gegenteil tun, nämlich die zehn positiven Handlungen. Es gibt noch eine weitere Art negativer Handlungen, die viel schädlicher sind als die bisher aufgeführten. Dies sind die "fünf extrem schädlichen Verhaltensweisen":
Eine dieser fünf Handlungen auszuführen, bedeutet, extrem negatives Karma anzusammeln. Es ist viel negativer als die zuvor aufgeführten zehn negativen Handlungen. Das Resultat dieser Handlungen wird besonders schnell heranreifen, nämlich unmittelbar nach dem Tod, ohne eine Zwischenperiode. Man wird sich als Resultat dieser Handlungen unmittelbar in einem Paranoiazustand wiederfinden. Dies ist auch der Grund für den Namen dieser Handlungen, denn er lautet wörtlich übersetzt: "Die fünf Handlungen, bei denen es keinen Zwischenraum gibt". "Zwischenraum" meint hier eine Zeitspanne bis zum Heranreifen des Resultates. Es gibt fünf weitere Handlungen, die diesen fünf sehr ähnlich sind:
Es gibt viele Arten, die Funktionsweise von Karma zu erklären und es werden verschiedene Typen von Handlungen unterschieden. Dies hier ist jedoch die gebräuchlichste Weise zur Unterteilung negativer Handlungen: Die zehn Negativen, die fünf extrem Negativen und die fünf, die diesen sehr nahestehen. Allgemein gesprochen haben negative Handlungen keine einzige positive Qualität; sie sind einfach nur schädlich. Der Buddha sagte jedoch einmal, daß man sagen könnte: "Es gibt eine gute Eigenschaft negativer Handlungen, und dies ist, daß man die von ihnen erzeugte Negativität wieder reinigen kann." Das bedeutet aber nicht, daß eine schädliche Tat in sich selbst eine gute Eigenschaft hätte, sondern ist nur eine Weise um auszudrücken, daß man das Negative wieder reinigen kann. Diese Reinigung ist möglich durch das Anwenden der sogenannten "Vier Kräfte". Man muß hier jedoch unterscheiden: Es scheint die allgemeine Ansicht zu sein, daß es einige Fälle gibt, wo es - trotz Anwendung der Vier Kräfte - extrem schwer ist, durch bestimmte negative Taten erzeugte Tendenzen zu entfernen. Es dreht sich hier um die zuvor beschriebenen fünf extrem schädlichen Taten. Eine weitere Ausnahme, bei der es äußerst schwierig ist, mit den negativen Eindrücken im Geist umzugehen, ist der Fall, wenn man keinerlei Vertrauen in die Drei Juwelen hat und an falschen Sichtweisen festhält. Ganz gleich welchen dieser Zustände man betrachtet: Man findet nichts als Leid. Samsara ist nichts als Leid, weil es immer das Resultat angesammelter Handlungen ist. Wir können einen kurzen Blick auf die sechs Zustände werfen, um einen Einblick zu bekommen, was man erlebt wenn man dort wiedergeboren wird. Der Paranoiazustand ist nicht nur ein Bereich, sondern ein Name für einen bestimmten Geisteszustand, der in verschiedene Unterbereiche unterschieden wird. So gibt es beispielsweise 18 verschiedene "Höllen": In acht von ihnen leiden die Wesen vorwiegend unter Hitze, in weiteren acht vorwiegend unter extremer Kälte. In der Umgebung gibt es noch zwei weitere Höllen, so daß es insgesamt 18 sind. In all diesen Zuständen wird nichts als Hitze und Kälte erlebt, ausschließlich extremes Leiden. Man könnte nun denken, daß es zwar in den Paranoiabereichen großes Leid gibt, die anderen Daseinsbereiche aber nicht so schlimm seien. Man sollte sich aber dann anschauen, was beispielsweise in den Geisterwelten erlebt wird: Die dort lebenden "Hungergeister" leiden sehr stark unter Hunger und Durst. In einer Beschreibung dieses Bereiches wird gesagt: "Ein Hungergeist hört 100 Jahre lang nicht einmal das Wort ‘Nahrung’ oder ‘Trinkwasser’ und hat keinerlei Zugang dazu." Es wird beschrieben, daß Hungergeister Bäuche so groß wie Berge und Speiseröhren so dünn wie ein einzelnes Haar haben. Es ist ihnen unmöglich, soviel Nahrung zu sich nehmen, daß ihr Hunger und Durst gestillt wird. Selbst wenn sie etwas Nahrung oder Wasser finden, so verwandelt es sich in dem Moment wo sie es zu sich nehmen, zu etwas Ekelhaftem wie Blut und Eiter. Dies ist ihr vorherrschendes Erlebnis, in der Tat nichts als Leid. Wiederum könnte man denken, daß es aber im Tierbereich nicht so schlimm zugeht. Aber auch hier entdeckt man nichts als Leid, wenn man sich die Situation der Tiere anschaut. Es ist leicht zu sehen, wieviel Leid die Tiere im Wasser und auf dem Land erleben, wie sie gejagt und mißbraucht werden. Man nennt diese Bereiche die drei "niederen" Bereiche, weil das Leid in ihnen sehr grob und dominant ist. Wir finden jedoch auch in den sogenannten "höheren" Bereichen nichts als Leid. Das vorherrschende Problem der Asuras, der Halbgötter, ist zum Beispiel die Eifersucht: Sie sehen die angenehmen Erlebnisse der Götter und sind neidisch, da ihre eigenen Erlebnisse dem nicht gleichkommen. Deswegen kämpfen sie ständig gegen die Götter, gewinnen jedoch nie. Sie sind immer die Verlierer und ständig eifersüchtig, was das Leiden in ihrem Bereich ausmacht. Aber auch die eigentlichen Götter leiden: Obwohl sie während ihres Lebens viel Spaß haben, erleben sie vor ihrem Tod eine ungeheure Menge an Leiden dadurch, daß sie sich ihres Todes bewußt werden. Sie bemerken ihren nahenden Tod sieben Tage vorher, wobei sieben Tage im Götterbereich sieben menschlichen Jahren entsprechen. Die Götter sehen also sieben Jahre lang genau wo sie nach ihrem Tod wiedergeboren werden, und da sie all ihr gutes Karma verbraucht haben, werden sie in niedere Bereiche fallen. Daß ihr Tod naht, bemerken sie auch anhand von bestimmten Zeichen, zum Beispiel daran, daß die Blumen die ihren Körper schmücken, zu welken beginnen, und daß ihre Körper anfangen, schlecht zu riechen. Auch der Götterbereich ist also extrem leidvoll. Im menschlichen Bereich schließlich erlebt man zum Beispiel die Leiden von Geburt, Alter, Tod und Krankheit. Welchen der Daseinsbereiche man sich also auch anschaut, man sieht, daß Samsara und Leiden das gleiche sind. Samsara kann damit vergleichen, daß man auf einer Nadel sitzt: Es gibt nicht einen Moment ohne Leiden. Die vier Gedanken, durch die wir uns von Samsara abwenden, sind tatsächlich sehr wichtig für uns. Viele der alten Meister haben ein bestimmtes Zitat verwendet. Sie sagten: "Die Vorbereitungen sind tiefgründiger als die Hauptpraxis." Für die eigene Entwicklung in der Dharmapraxis ist es essentiell wichtig, diese grundlegenden Sichtweisen sehr klar verstanden zu haben. Deswegen sollte man sich die Zeit nehmen, die Bedeutung dieser vier Gedanken gründlich zu durchdenken. Nachdem man zuerst die Erklärungen zum "Kostbaren Menschenkörper" detailliert durchgegangen und verstanden hat, kann man ihn wirklich wertschätzen. Dann geht man über zur "Vergänglichkeit", und wenn man dies im Detail durchdacht hat, versteht man natürlicherweise, wie Karma arbeitet und daraufhin wie Samsara funktioniert und welche Leiden es in den verschiedenen Bereichen gibt. Wenn man diese grundlegenden Sichtweisen entwickelt hat, besitzt man ein solides Fundament, auf dem man seine Dharmapraxis aufbauen kann, nämlich die "Vier besonderen Vorbereitenden Übungen": Verbeugungen, Diamantgeist, Mandala-Opferung und Guru-Yoga. Dann hat man eine wirklich solide Basis, auf der man in der Lage ist, direkte Erkenntnis entstehen zu lassen. Wenn man sich nicht um ein solches solides Fundament kümmert, könnte es schwierig sein, das angestrebte Resultat all dieser Praktiken zu erlangen. Es ist so, wie wenn man ein Haus baut: Man braucht ein gutes Fundament, sonst kann das Haus später leicht wieder einstürzen - man kann sich nicht darauf verlassen. Es gäbe eigentlich vielmehr zu diesem Thema zu erklären, aber ich bitte euch, das hier Gesagte im Geist zu halten. In Samsara zu sein, bedeutet Leiden. Wir sollten uns jedoch glücklich schätzen, in einer sehr begünstigten Situation zu sein, da wir in der Lage waren, als Menschen mit einem Kostbaren Menschenkörper wiedergeboren zu werden. Dies bedeutet, daß wir eine großartige Möglichkeit haben, die wir in den anderen Existenzbereichen nicht finden: Wir haben insofern ein gewisses Maß an Freiheit, daß wir fähig sind, zwischen guten und schädlichen Handlungen zu unterscheiden. Wir sind fähig, negative Handlungen aufzugeben und uns auf positives Handeln zu konzentrieren. Wenn wir in unserem Leben nützliches Handeln üben, werden wir durch dieses Leben einen Zustand der Befreiung von Samsara erlangen können. Wenn wir uns andererseits nicht darum kümmern und weiter negativ handeln, werden wir das entsprechende Resultat bekommen und uns nicht von Samsara befreien können. Wir werden dann weiter den ewigen Kreislauf von Wiedergeburten in dem einen oder anderen Zustand durchlaufen. Aus diesem Grunde sollten wir uns dieser großen Chance hier und jetzt bewußt sein und unser möglichstes tun, um sie zu nutzen, solange wir es in der Hand haben. Ich weiß, daß ihr euch alle in diesem Sinne sehr anstrengt. Die Leute sind heutzutage alle sehr beschäftigt, müssen Geld verdienen usw. Trotzdem nehmt ihr euch die Zeit, zu Dharmabelehrungen zu gehen und zu praktizieren. Dies ist sehr gut und nützlich und ich möchte euch ermutigen, damit fortzufahren. Fühlt euch niemals in eurer Dharmapraxis entmutigt.Übersetzung aus dem Tibetischen ins Englische von Tina Draszczyk. Übersetzung ins Deutsche durch die Redaktion. |
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